Der Fischotter als Geschäftsmodell – Interview mit dem Wildökologen Sven Herzog

Fischotter von vorn hinter grünem Vordergrund auf Wiese.

 

Seit Jahrzehnten kehren Prädatoren wie Wolf und Fischotter in Bayerns Kulturlandschaften zurück – und bringen alte Konflikte mit sich. Sven Herzog, Dozent für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der TU Dresden, erklärt, wie Teich- und Almwirtschaft unter Druck geraten und warum die Jagd Teil der Lösung ist.

Das Image des Wolfs hat sich in den letzten 100 Jahren sehr gebessert. Wie kommt es dazu, dass Raubtiere jetzt so positiv wahrgenommen werden?

Das Bild hat sich in der Tat gedreht. Es liegt sicherlich auch daran, dass wir viel zu diesen Tieren gelernt haben. Dass die Zeiten des Rotkäppchens und der Angst vorbei sind. Andererseits sind Wölfe uns Menschen in vielen Dingen sehr ähnlich. Damit können wir uns identifizieren. Außerdem hatten wir über 100 Jahre lang keine Wölfe mehr vor der Haustür. Und was ich nicht vor der Haustür habe, das stört mich nicht weiter. Das war früher anders. Darüber hinaus haben wir die zunehmenden Einflüsse von Politik und Umweltverbänden erlebt. Die Rückkehr der größeren und kleineren Prädatoren ist eine gute Sache. Aber sowohl beim Fischotter als auch beim Wolf gilt: Eine kleine Minderheit der Gesellschaft zahlt derzeit den Preis für die Rückkehr dieser Tiere.

Sie meinen die Landwirte?

Die Landwirte, die Teichwirte, die Weidetierhalter, auch die Hobby-Weidetierhalter. Also die Menschen, die unsere Kulturlandschaften gestalten. Die werden unmittelbar damit konfrontiert. Wir fördern diese Tierarten mit öffentlichen Mitteln und privatisieren dann die Probleme, die dabei entstehen. Wenn das passiert, kommt es zu großen Konflikten. Die drohen irgendwann aus dem Ruder zu laufen. Und dann kann es passieren, dass Menschen, die bislang sehr gesetzestreu waren, anfangen, illegal zu handeln. Zum Beispiel indem sie versuchen, sich der Tiere mit irgendwelchen illegalen Mitteln zu entledigen. Das müssen wir verhindern!

Haben wir mittlerweile ein zu unkritisch positives Bild dieser Tiere?

Ja, und das wurde uns von der Politik, Verwaltung und den Umweltverbänden lange so vermittelt. Genauso wie vor 150 Jahren ein unkritisch negatives Bild vermittelt wurde, da war der Wolf ein Ungeheuer. Ich wünsche mir einen sachlichen, nüchternen Blick. Es ist ja gut, dass es die Tiere gibt. Ich freue mich, dass sie in unserer Landschaft sind. Wir brauchen aber
offenbar als Gesellschaft immer Feindbilder, sowohl auf menschlicher Seite als auch im Tierreich. Heute ist der Bösewicht gerne auch mal der Jäger, wahlweise der Landwirt. Das sagen manche Tierschützer ganz offen. Deswegen sehe ich immer auch, dass es hier sehr viel um Geschäftsmodelle geht. Dabei müsste man eigentlich zusammenarbeiten.

 

Ein Wolf in der Frontalansicht, der Kopf zeigt nach rechts.
Seit etwa zwei Jahrzehnten leben wieder Wölfe in Bayern.

 

Was meinen Sie, wenn Sie sagen, dass es auch um Geschäftsmodelle geht?

Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts waren Naturschutzverbände Organisationen, die im Ehrenamt viel praktischen Umweltschutz betrieben. Sie haben sich intensiv für viele Dinge draußen in der Praxis eingesetzt. Das ist unbestritten. Und es gibt diese
ehrenamtlich engagierten Menschen bis heute. Ab etwa den 1980er Jahren kam es mit zunehmender Verrechtlichung und Bürokratisierung des Naturschutzes auch zu einer Art Professionalisierung in den Verbänden. Die Verbände haben sich dann mehr und mehr zu Dienstleistungsorganisationen entwickelt, die auch unternehmerisch handeln. Daraus ist etwas entstanden, was Kritiker gerne „Naturschutzindustrie“ nennen. Das halte ich grundsätzlich nicht mal für schlecht. Ich glaube, es ist wichtig, dass mit Naturschutz auch Geld verdient wird. Ich halte es allerdings für problematisch, dass manche Verbände sich nach wie vor als die klassischen ehrenamtlichen Organisationen darstellen, die sie nur noch in Teilen sind. Es werden in großem Stil Umsätze getätigt und
Arbeitsplätze geschaffen. Doch das funktioniert vor allem, wenn und solange es einer Tierart schlecht geht. Das schafft wenig Anreize, intensiv an der Verbesserung der Situation mitzuwirken. Das Problem bezeichnen wir als Naturschutzparadoxon, ein ähn-
liches Phänomen wie das „principal agent paradox“. Im Naturschutz erzielt man mehr Einkommen damit, erfolglos zu sein.

Inwiefern?

Nehmen wir den Wolf. Solange sich der Wolf in einem ungünstigen Erhaltungszustand befindet –, oder vermeintlich befindet – wird natürlich sehr viel Geld dafür ausgegeben, den Wolf in einen günstigen Erhaltungszustand zu bekommen. Das heißt also, es fließen nur Gelder, solange es der Art (noch) schlecht geht. Dann werden Stellen geschaffen, es werden Monitoring-Aufträge vergeben und so weiter. Das sind erkleckliche Einnahmen für viele Akteure. Mit diesen Summen, die durchaus weit in den Millionenbereich gehen, könnte man eigentlich die Tierart besser fördern, selbstverständlich zusammen mit den Naturschutzverbänden. Wichtig wäre es, Leistungen an tatsächliche Erfolge zu koppeln.  In den USA haben Naturschutzverbände in den 1970er Jahren Fonds angelegt aus Spendenmitteln, um zum Beispiel Weidetierhalter zu entschädigen, als Wölfe wieder angesiedelt wurden. Die haben sehr wenig für die eigene Verwaltung oder das eigene Wachstum ausgegeben. Solche Fonds wären auch bei uns ein interessantes Instrument. Warum können Naturschutz und Landwirtschaft nicht Hand in Hand gehen? Der Naturschutz könnte zum Beispiel Spenden generieren, um Fischwirte für Otterschäden zu entschädigen.

Ein Fischotter sitzt mit dem Oberkörper auf einem Holzstück in Flussnähe.
In den Teichlandschaften Bayerns finden Fischotter reiche Nahrung.

Naturschützer sind unter sich oft uneins, was den Umgang mit den Prädatoren angeht. Woran liegt das, was meinen Sie?

Kreisgruppen und Regionalverbände sehen die Lage meistens viel sachlicher. Problematisch wird es bei Verbänden, die nur eine kleine Konzernspitze haben und letztendlich keine Basis – oder nur eine Spenderbasis. Dort muss man dogmatisch mit der Prädatoren-Frage umgehen, weil man natürlich Angst um die Spender hat. Gott sei Dank gibt es aber auch noch Basisarbeit in vielen Verbänden. Viele Naturschützer verstehen natürlich, was draußen los ist. Das sind nicht die Funktionäre, sondern die Praktiker, die das ehrenamtlich machen.

Wie beeinflussen denn die Wölfe und Fischotter zum Beispiel die Almen und Teichlandschaften in Bayern?

Ich glaube, im Moment ist der Fischotter in Bayern zumindest lokal ein größeres Problem als der Wolf. Der Wolf ist in Bayern noch nicht so präsent, wie er sein könnte, möglicherweise weil ihm hier in der Fläche eine wichtige Beute, der Rothirsch, fehlt. Doch Wölfe werden Bayern dennoch besiedeln. Dann wird sich das auch auf Nutztiere auswirken, also zum Beispiel auf die Schaf- und Rinderhaltung. Der Fischotter ist demgegenüber ein lokales Problem, bislang vor allem in der Oberpfalz und in Oberfranken, in diesen uralten, klassischen Teichlandschaften. Das ist eine ideale Umwelt für den Fischotter, da kann er durchaus Schaden anrichten.

Wie könnten die Teiche und Almen in zehn Jahren aussehen?

Bei den Almen ist es noch früh genug, dass man noch gut eingreifen könnte. Vielleicht wird in einigen Jahren der Wolf wie ein normales Wildtier bejagt und geschont. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. Fairerweise muss man sagen, dass die Almen mehr Probleme haben als nur den Wolf. Zum Beispiel die Überalterung der Landwirtschaftsbetriebe und das Brachfallen und Bewalden von Flächen. Bei den Teichen ist es drastischer. Wenn es so weitergeht wie bisher, vermute ich, dass die Teichwirtschaft zurückgehen wird. Viele kleinere Teichwirte, zum Teil sind es ja auch Nebenerwerbler, werden aufgeben. Das sieht man bereits jetzt. Die werden vielleicht noch den Teich als solchen stehenlassen oder aus dem Teich wird irgendwann mal ein Sumpf – was auch ökologisch wertvoll sein kann. Aber die Kulturlandschaft, wie wir sie kennen, wird sich verändern.

 

Ein kleiner Fischotter steht in einer Schneelandschaft mit einem toten Fisch im Maul.
Ein Fischotter frisst täglich ca. 1 bis 1,5 kg Fisch.

Würden Sie sagen, dass es zurzeit zu viele Fischotter in Bayern gibt?

Es gibt lokale Fischottervorkommen, die lokale Probleme machen. Das heißt, für diese Orte könnte man sagen, dass die Anzahl aus wirtschaftlicher Sicht lokal zu hoch ist. An anderen Stellen würde man sagen, das geht sich schon irgendwie aus. Und wieder woanders, etwa im Nationalpark, gar keine Frage, da freuen sich alle über die Otter. Der Fischotter lebt kleinräumiger und verursacht andere Probleme als der Wolf. Wo ich keine Teichwirtschaft habe, kann ich auch mehr Fischotter tolerieren.

Was müsste man denn tun, um die Probleme in den Griff zu kriegen?

Einmal könnte man in sogenannte repellente Maßnahmen investieren, also zum Beispiel (Elektro-)Zäune, Ultraschall, Infraschall und so weiter. Leider ist das oft noch nicht besonders effektiv und hat auch Nebenwirkungen. Man könnte die Tiere auch fangen und da ansiedeln, wo noch keine sind. Insgesamt müssen wir aber über alle Strategien diskutieren. Das geht vom Totalschutz bis zur Entnahme.

Entnahme heißt, dass man sie auch jagen muss?

Ja, das könnte lokal eine Option sein. Das ist allerdings bei der derzeitigen Auslegung der Gesetze nicht so leicht. Da geht es vor allem um die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und den Anhang 4, ein EU-Gesetz zum Naturschutz. Deutschland legt dieses Gesetz allerdings viel strenger aus als andere Staaten. Wir bauen uns immer wieder selbst Steine in den Weg, die uns dann vor Gericht auf die Füße fallen. Die Franzosen entnehmen seit 2018 pro Jahr mehr als 100 Wölfe, obwohl sie ja dem gleichen Gesetz unterstehen. Wir fesseln uns in Deutschland bürokratisch selbst und nutzen die Möglichkeiten der Richtlinie gar nicht richtig aus. Das müssen wir dringend ändern. Gesetze sind dazu da, um den Menschen und der Natur zu dienen und nicht, um Menschen wie die Teichwirte zu stigmatisieren. Ein Naturschutzgesetz, das für den Fischotter wirksam sein soll, ist dann besser, wenn es lokal auch Abschüsse gestattet, als wenn es das generell verbietet und die Menschen anfangen, sich selbst zu helfen.

Lassen sich Jagd und Naturschutz miteinander vereinen?

Auf jeden Fall. Man hat es über Jahrzehnte versäumt, Menschen klarzumachen, dass man auch dann zu den „Guten“ gehört, wenn man Natur nutzt, wenn man das Reh oder den Hirsch schießt und isst und die Waldschnepfe oder die Taube in die Pfanne haut. Dieses Narrativ ist verloren gegangen. Der Jäger wird stattdessen oft als „Öko-Frevler“ betrachtet. Manche Naturschützer haben Angst, dass man die Tiere ausrottet, wenn man die Jagd zulässt. Das ist aber völlig veraltet. Das kommt aus der Zeit des vorletzten Jahrhunderts, als unkontrolliert in die Tierbestände eingegriffen wurde. Das war dann die Geburtsstunde des Jagdrechts in den 1920er Jahren. Das Jagdrecht ist zu einem sehr großen Anteil ein Artenschutzrecht, wenn man es richtig anwendet. Es ist auch ein Tierschutzrecht, indem man bestimmte Jagdmethoden zulässt und andere nicht zulässt, wie das brutale Tellereisen zum Beispiel. Das Jagdrecht ist ein wunder-
bares Instrument, das auch für gefährdete Arten sehr gut geeignet ist. In den letzten 100 Jahren ist keine Art, die dem Jagdrecht unterlag, ausgestorben. Die meisten bejagten Arten haben sich positiv entwickelt. Das ist für das Naturschutzrecht ganz anders – viele geschützte Arten gibt es nicht mehr.

Was müsste man also eigentlich tun?

Die Menschen in Deutschland erwarten, dass der Gesetzgeber irgendwas sagt und dann wird das brav umgesetzt. Man müsste im Naturschutz aber etwas tun, das uns in Deutschland oft sehr schwerfällt. Nämlich Prozesse partizipativ gestalten. Also Regeln von unten nach oben entwerfen und alle einbeziehen. Nehmen wir zum Beispiel das Fischotterproblem im Landkreis Tirschenreuth. Da könnte der Landrat zwei, drei Wissenschaftler, Teichwirte, Naturschutzexperten aus der Basis – nicht unbedingt die aus München – und dazu noch Tourismusexperten, Tierschützer und Heimatpfleger in eine Runde holen. Die könnten diskutieren, welche Möglichkeiten es gibt. Denn so wie es bisher gehandhabt wird, funktioniert es offensichtlich nicht.

Das Interview führte Pierre Borsdorf.

Dieser Beitrag erschien in Heft 3 der Schöneren Heimat 2025. 

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