Halloween: Tradition oder Kommerz? – Ein Kommentar von Dr. Daniela Sandner

Das ursprünglich irische Fest, das über Amerika nach Europa zurückkehrte, sorgt alljährlich für Diskussionen. Dabei können Kinder durch das Verkleiden Ängste spielerisch überwinden. Doch kritische Stimmen wenden sich gegen den stark kommerzialisierten Charakter des Brauchs. Ist Halloween also ein leeres Konsumereignis oder doch ein Fest, das sich als Heischebrauch sinnvoll in den Brauchkalender einfügt? Unsere Referentin Dr. Daniela Sandner kommentiert.

Sinnlose Kommerzveranstaltung, oberflächlicher Kulturimport und geschmacklose Grusel-Party oder einfach ein beliebtes Kinderfest? An Halloween scheiden sich die Geister. Ich habe die ganze Aufregung nie verstanden. Denn die kulturgeschichtliche Herleitung von Halloween ist hochinteressant: Irische Einwanderer brachten es im 19. Jahrhundert an die amerikanische Ostküste, wo es sich höchst dynamisch weiterentwickelte. In den 1970er Jahren fand Halloween im Sinne einer „transatlantischen Rückwanderung“ dann seinen Weg zurück nach Europa. Zunächst wurden Halloween-Feiern in amerikanischen Militärstandorten in Süddeutschland bekannt, denn die Soldaten und Besatzungsfamilien feierten ihre heimischen Feste natürlich auch in den Kasernen. Allerdings lösten erst in den späten 1990er Jahren amerikanische Spielfilme, allen voran die gleichnamige Filmreihe um die Horrorfigur Michael Myers, die 1998 ein Revival erfuhr, in Deutschland eine Halloween-Welle aus.

Ich habe selbst jahrelang im unterfränkischen Kitzingen gelebt, im sogenannten (wenn auch längst verblassten) „Little Las Vegas am Main“. Denn mit der Stationierung von bis zu 12.000 US-Soldaten etablierten sich in der Kleinstadt auch zahlreiche Vergnügungsstätten, und so wurde Kitzingen eine bedeutsame, amerikanisch geprägte Garnisonsstadt. Ich habe dort auch noch in einer ehemaligen amerikanischen Kaserne gewohnt. Als in unserem ersten Jahr an Halloween eine verkleidete Kindergruppe an unserer Türe klingelte, war ich ziemlich perplex – und zugegebenermaßen schlecht ausgestattet, denn ich hatte keine Süßigkeiten im Haus. „Saures“, also eine Bestrafung in Form eines bösen Streichs, der uns gespielt worden wäre, gab es trotzdem nicht; zum Glück hatte sich bei uns wohl eine recht harmlose Variante des Brauchs durchgesetzt. Halloween nämlich besteht im Wesentlichen aus den Heischegängen der Kinder, die als „trick or treat“, also wörtlich „Streich oder Süßigkeit“ im Deutschen „Süßes oder Saures“, bezeichnet werden. Wird die Ausgabe von Süßigkeiten verweigert, dürfen die Kinder Streiche spielen. Dies erinnert an die – allerdings häufig ausufernden – Umzüge von Jugendlichen zur Freinacht auf den 1. Mai. Heischegänge von Kindern, die Lieder singen oder Sprüche aufsagen, sind in Süddeutschland – wenn auch zu anderen Brauchterminen, etwa an St. Martin, beim Klopfergehen im Advent oder zur Fastnacht – bereits seit dem 14. Jahrhundert bekannt und verbreitet.

In Amerika ist Halloween ein großes und gerne gefeiertes Erntefest mit Kürbissen, Getreidebündeln und getrockneten Maiskolben. Als unverzichtbares Brauchrequisit hielt der Kürbis Einzug über die Sage des „Jack O‘Lantern“, die mittelalterliche Vorstellungen vom Fegefeuer kolportiert. In Deutschland sind im Herbst liturgische Erntedankfeiern bekannt, in denen die Kirche mit den Früchten des Feldes und der Gärten geschmückt werden.

Halloween ist heute unverkennbar ein Gruselfest, und ich persönlich kann den fantasievollen Hexen- und Gespensterverkleidungen einiges abgewinnen. Als ehemalige Leiterin des Deutschen Fastnachtmuseums in Kitzingen weiß ich natürlich, wie viel Freude Kindern (und auch Erwachsenen!) das Verkleiden bereitet. Aus psychologischer Sicht kann es befreiend wirken, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Für Kinder bietet sich damit auch eine Möglichkeit, Ängste zu überwinden. Das Vermummen ist ein wesentliches Brauchelement vieler gelebter Traditionen, besonders zur Fastnacht und im Karneval, aber nicht nur – denken wir an die alpenländischen Perchten- oder Krampusläufe, die uns als „urbayerisch“ vorkommen. Sie erinnern häufig tatsächlich ein wenig an Halloween, insbesondere weil sich viele Perchtengruppen erst in den 90er und 2000er Jahren gegründet haben und moderne Dämonenvorstellungen, die ebenfalls von der Filmindustrie beeinflusst sind, in ihrer Maskierung aufgreifen.

Und übrigens hat Halloween, genau wie die Perchten- und Krampusläufe, seinen Ursprung nicht in vorchristlicher Zeit. Das angebliche Totenfest „Samain“, auf das es gern zurückgeführt wird, ist in der Wissenschaft lediglich als keltisches Neujahrsfest bekannt, mit Halloween hat es nichts zu tun. Tatsächlich aber weist schon die Bezeichnung „Halloween“ auf den Abend vor Allerheiligen hin, auf „All Hallows’ Eve“. Damit steht der Brauch in direktem Zusammenhang mit den auch bei uns seit Jahrhunderten bekannten christlichen Totengedenktagen Anfang November. Bruchstücke des Brauchs, die Halloween-Feuer, sind in Irland historisch bis in das 16. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Auch das ist – brauchgeschichtlich betrachtet – schon ziemlich alt.

So gesehen passt Halloween eigentlich ganz gut in den Brauchkalender. Spielwarenfirmen, Brauereien und Kostümhersteller taten ihr Übriges, um Halloween auch in Deutschland und vor allem in kommerzieller Hinsicht zu etablieren. Andererseits macht die Kommerzialisierung bekanntermaßen ja auch vor den religiösen Festen wie Weihnachten und Ostern und den mit ihnen verbundenen „urdeutschen“ Bräuchen und Traditionen nicht Halt. Auch diesen Festen kann bzw. muss man eine zunehmende Sinnentleerung vorwerfen. Die Kommerzialisierung ist kein brauchinhärentes Problem, sondern Ausdruck einer kapitalistischen Marktwirtschaft und hedonistischen Gesellschaft. Dabei hätte jeder von uns die Möglichkeit, sich dem Konsum zu verweigern. Bei vielen Bräuchen stehen halt nicht mehr Fragen wie „Süßes oder Saures?“ im Mittelpunkt. Sondern: „Wie viel lässt sich damit verdienen?“ Das stimmt wohl auch die Traditionalisten sauer.

Dieser Text erschien in der 42. Ausgabe der Zeitschrift MUH.

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