Willkommen zur Klangparty! Ein Interview mit Lioba Degenfelder

Bayerns Wiesen als Klangerlebnis: Die Ökologin Lioba Degenfelder hat für den Landesverein das Projekt „Land.schafft.Klang“ entwickelt. Es startet am 23. März auf der Glentleiten. In der Wanderausstellung kann es ganz schön laut werden – aber leider auch leise.

Frau Degenfelder, Sie sind Diplom-Ingenieurin für Umweltsicherung. Sie beraten Flächeneigentümer und Bauern, wie sie Wiesen und Äcker naturschonend bewirtschaften. Und jetzt machen Sie auch noch eine Ausstellung für den Landesverein. Wie kommen Sie denn dazu?

Lioba Degenfelder: Die Idee entstand, als ich vor einigen Jahren einen Radiobericht über China hörte. Da hieß es, dass es in manchen Regionen wegen des Einsatzes von Pestiziden keine Insekten mehr gibt und dass die Menschen auf die Bäume kraxeln, um sie per Hand zu bestäuben. Das allein war für den Journalisten, der da berichtete, schon sehr seltsam. Was ihn aber am meisten verstörte, war das Fehlen von Klang. Da habe ich mich gefragt: Wie ist es mit dem Klang bei uns? Und weil ich sehr viel draußen unterwegs bin, habe ich hingehört und schnell Auffälligkeiten festgestellt.

Welche Auffälligkeiten meinen Sie?

Naja, erst mal waren es die Unterschiede zwischen manchen Feldern und Wiesen. Das fand ich so spannend, dass ich überlegt habe, wie man da mehr herausfinden kann. Und allmählich entstand die Idee, den Artenverlust in der Kulturlandschaft mit einer Ausstellung hör- und spürbar zu machen. Beim Landesverein habe ich mit der Idee offene Türen eingerannt, da war das Interesse sofort groß, eine solche Ausstellung als Träger zu übernehmen. Ein Glücksfall!

Was erwartet die Besucherinnen und Besucher in „Land schafft Klang“?

Auf jeden Fall werden sie eine Ausstellung sehen, die sie noch nie erlebt haben. Wir sind radikalinterdisziplinär vorgegangen. Das Neue und Außergewöhnliche ist, dass wir nicht nur Ökologisches, Politisches und Wirtschaftliches zeigen, sondern dass wir das auch mit Kunst in Zusammenhang bringen. In unserem Team war zum Beispiel die Musikerin Evi Keglmaier, die ein Requiem auf Tierarten komponiert hat, die es nicht mehr gibt oder die am Aussterben sind. Evis Musik und die Musik der Wiesen treten in einen Dialog. Mit der Musik brechen wir naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf Gefühlsebene herunter. Schon allein deshalb hebt sich unser Projekt von allen anderen Ausstellungen ab.

Wie klingen denn nun Wiesen in Bayern?

Eine intakte Wiese klingt wie ein Orchester, in dem alle Plätze und Register besetzt sind, von der Bassgruppe bis zur Piccoloflöte. Wiesen, die intensiv bewirtschaftet werden, klingen tatsächlich ganz anders als Wiesen mit weniger intensiver Bewirtschaftung. Wenn bis zu sechs Mal gemäht und Gülle ausgebracht wird, hört man in den Aufnahmen von unserem Tonmeister Charles Kenwright auf einer niederbayerischen Wiese zum Beispiel noch eine Fliege – und sonst nichts mehr. Zur gleichen Jahreszeit und bei gleicher Witterung haben wir auch eine Aufnahme von einer mittelfränkischen Streuobstwiese. Das ist ein unglaubliches Stimmengewirr, ein Remmidemmi, eine Klangparty. Ein Brummen, Zwitschern und Sirren. Je intensiver Wiesen bearbeitet und bewirtschaftet werden, desto größer werden die Lücken im Orchester.

Klingt überwältigend, aber auch traurig. Aber Sie als Ökologin kann dieser deutliche Unterschied kaum überrascht haben?

Doch, das war in dem Ausmaß für uns alle schon überraschend. Wir alle sind durch die Arbeit an diesem Thema viel hellhöriger geworden. Wir gehen jetzt alle mit noch offeneren Ohren durch die Landschaft. Und diesen Effekt wollen wir auch bei den Besucherinnen und Besuchern erzielen. So können wir den Verlust vorführen, den wir Menschen gerade hinnehmen müssen.

Belehrt die Ausstellung oder klagt sie gar an?

Als Anklage ist sie definitiv nicht zu verstehen. Es geht uns auf unseren elf Themeninseln ums Sensibilisieren. Einerseits dokumentieren wir, was noch da ist. Andererseits zeigen wir dem Publikum Vieles, was es noch nicht oder nicht mehr weiß. Beispielsweise, warum Tiere verschiedene Töne produzieren. Bewohner der Ebene ziehen lange Töne, die sind da gut vernehmbar. Im Wald und auf dem Berg sind eher spitze und hohe Töne besser zu hören. Der Bergfink ist da ein sehr gutes Beispiel. Da wird der Wald zum Medium, das den Laut transportiert. Jedes Tier hat eine klangliche Nische, um wahrgenommen zu werden. Sie schreien nicht gegeneinander an, sondern haben unterschiedliche Klangfrequenzen. Das hat auch etwas mit ihrem Energiehaushalt zu tun, sie müssen sich mit ihren jeweiligen Stimmen nicht allzu stark anstrengen.

Wird es eine reine Hör-Veranstaltung?

Es soll ein ganzheitliches Erlebnis werden! Unsere Gestalter Alfred Küng und Tinka Kuhlmann setzen den Ernst des Themas genauso treffsicher und elegant um wie sie unsere Freude über die Vielfalt vermitteln. Was man hört, sieht man auch. Aber durchs Hören wird oft erst bewusst, wie sich Wiesen optisch verändert haben. Intakte Wiesen sind bunt. Und wenn weniger zu hören ist, bleiben Wiesen grün und haben höchstens noch ein bisschen Löwenzahn drauf. Aber wir hören auch in die Böden hinein und haben Aufnahmen, wie die Landschaft unterhalb der Wurzeln der Pflanzen klingt. Spannend.

Wie thematisieren Sie die Landwirtschaft?

Tatsächlich kann man Auswirkungen der Agrarpolitik auf Wiesen hören. Aber auch hier klagen wir nicht an, sondern zeigen die tieferen Ursachen, die hinter der Verödung stehen. Es liegt nicht an den Bauern, wenn wir immer leisere Landschaften haben – jedenfalls bei weitem nicht nur an der Landwirtschaft. Wir müssen uns alle, wirklich alle fragen, was uns eine artenreiche Landschaft wert ist.

Wie haben Sie Ihr Ausstellungsteam zusammengestellt?

Erst mal habe ich mich mit Evi Keglmaier zusammengesetzt, die ich seit meiner Kindheit von den Singwochen des Landesvereins für Heimatpflege kenne. Evi hat Tinka Kuhlmann und Alfred Küng mitgebracht, sie sind befreundet. Und unsere Mitkuratorin Laura Kuen kam wiederum mit Tinka und Alfred. Unseren Tonexperten Charles Kenwright kenne ich über den Ornithologen Vogelphilipp, der beim Landesbund für Vogel- und Naturschutz arbeitet. Der Landesverein hat uns beim Entwickeln freie Hand gelassen und uns wirklich vorbildlich unterstützt.

Dann wünschen wir jetzt viel Erfolg!

Danke, ebenfalls!

Interview: Rudolf Neumaier.
Lioba Degenfelder hat sich in der neuesten Ausgabe der „Schöneren Heimat“ mit einem Kommentar in die Debatte um die Landwirtschaft eingebracht. Diesen Beitrag können Sie hier herunterladen.

Degenfelder_Landwirtschaft_in_der_Zerreissprobe

THEMENBEREICHE
AKTUELLES

Das könnte Sie auch interessieren:

Stellenausschreibung: Finanzbuchhalter/-in (m/w/d) mit Personalverwaltungsaufgaben, EG 11 (TVöD/VKA) (m/w/d) ab 1. Oktober 2025

Der Landesverein sucht zum 1. Oktober 2025 einen Finanzbuchhalter (m/w/d) in Vollzeit. Zu den Aufgaben gehören unter anderem Buchhaltung, Haushaltsführung, Projektabrechnungen und Personalverwaltung. Es erwartet Sie ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in München mit flexiblen Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeit und betrieblicher Altersvorsorge. Bewerbungsfrist: 7. April 2025.

weiterlesen »

Die Kirche im Dorf

Was wird aus unseren Kirchen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden? Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege hat diese Frage auf einer Tagung in all ihren Facetten ausgelotet.

weiterlesen »