Happy Birthday, Baukultur! Beitrag von Martin Bredenbeck

Dr. Martin Bredenbeck vor einem Ausschnitt eines Plakats. Ein Haus einer Häuserzeile aus dem 19. Jahrhundert ist wegradiert.

Im Jahr 1975 feierte Europa das Denkmalschutzjahr – es war so etwas wie die Geburtsstunde einer neuen Baukultur. Mit Kampagnen, Ausstellungen und prominenter Unterstützung rückte die Denkmalpflege erstmals ins öffentliche Bewusstsein. 50 Jahre später lohnt sich der Blick zurück – und nach vorn. 

Mamma mia, war 1975 was los! Fans der Gruppe ABBA wissen natürlich sofort, dass die schwedischen Musiklegenden in diesem Jahr mit dem Album ABBA einen entscheidenden Schritt für ihre Weltkarriere hinlegten, brachten sie im April 1975 doch Songs wie „Mamma Mia“, „I Do I Do I Do I Do I Do“ und „I‘ve been waiting for you“ heraus. Allesamt Titel, die nicht nur bis heute in den Rotationen der Radiosender rauf und runter gespielt werden, sondern die auch mühelos Assoziationen zu Denkmalschutz und Denkmalpflege eröffnen. Und waren die nicht neben ABBA das zweitwichtigste Thema im Jahre 1975, das europaweit als „Europäisches Denkmalschutzjahr“ begangen wurde?

Zugegeben, das ist in der Rückschau vielleicht etwas übertrieben. Denn damit würde man den weltpolitischen Umwälzungen 1975 – erinnert sei nur das Ende des Vietnamkriegs und der Franco-Ära in Spanien – nicht gerecht. In kultureller Hinsicht war dieses „EDSJ“ jedoch ein Meilenstein, und es ist allemal würdig und wichtig, es zu erinnern und seinen 50. Geburtstag zu feiern, so wie es beispielsweise der Bayerische Landesverein für Heimatpflege, das Denkmalnetz Bayern und die Evangelische Akademie Tutzing auf ihrer Tagung „Jung – und ein Denkmal“ Anfang März 2025 getan haben.

Natürlich war nicht alles golden mit dem 1. Januar 1975. Kein Schalter konnte in der Silvesternacht umgelegt werden, der landschafts- und ortsbildzerstörerische Bauprojekte gestoppt oder gar den Bauwirtschaftskapitalismus in seine Schranken gewiesen hätte, kein Ruck ging am Neujahrsmorgen durch die Planungsbüros der Wohnbaugesellschaften, die Chefetagen der Investoren oder gar durch die politischen Entscheidungsgremien von den Kommunen bis zum Bund. Aber in der Rückschau sehen wir heute sehr deutlich, dass das Jahr 1975 als „Europäisches Denkmalschutzjahr“ durch alle seine Aktionen und Kampagnen eben doch zu einem Symbol geworden ist, das das Ende des Ideals von „Fortschritt durch Erneuerung“ markiert und den Übergang zum Gedanken des „Bauen mit dem Bestand“. In diesem Geiste hat der Europarat es 1973 beschlossen, und so wurde es in der alten Bundesrepublik von der kommunalen bis zur nationalen Ebene von zahlreichen Akteuren begangen und gefeiert, Sonderbriefmarken und Sondermünzen eingeschlossen. Im EDSJ 1975 bündelt sich ein Richtungswechsel, der Ende der 1960er Jahre begonnen hatte (mit einem Erstarken der Zivilgesellschaft und manchem fachlich-kunsthistorischen Richtungswechsel) und der 1980 mit dem letzten Landesdenkmalschutzgesetz der alten Bundesrepublik (NRW) abgeschlossen war. Bayern hatte sich sein Denkmalschutzgesetz schon 1973 gegeben.

Die nationale Eröffnungsfeier des EDSJ für Westdeutschland fand am 20. Januar 1975 im Rheinischen Landesmuseum Bonn statt. Bundespräsident Walter Scheel als Schirmherr, der britische Europapolitiker Lord Duncan Sandys als geistiger Vater des Jahres und zahlreiche politische und kulturelle Prominenz waren anwesend, um – wie es in der Presse am Folgetag hieß – eine „Riesenshow für den Denkmalschutz“ zu feiern. Geboten wurde ein umfangreiches Programm: Musik und Buffet natürlich auch, aber vor allem Reden, Führungen in Bonn und die Wanderausstellung zu den deutschen Modellstädten, unter denen mit Rothenburg o.d.T. auch eine bayerische vertreten war. Mit der Wahl von Modellstädten, von der Kleinkommune Alsfeld bis zur urbanen Metropole Berlin, war ein Hauptthema des Denkmalschutzjahres in Westdeutschland gesetzt: Denkmalschutz und Denkmalpflege nicht (mehr nur) für das herausragende Einzelmonument, sondern für die kleine, mittlere oder große Stadt als Lebensraum und Zusammenhang. Keine „Einzelfallbetrachtung“, sondern ein sehr in der Lebenserfahrungswelt der damaligen Zeit verwurzelter Ansatz: dem Verlust der historischen Stadt und der Identität begegnen mit Revitalisierung und behutsamer Erneuerung. Bayerische Städte wie Regenburg und Bamberg hatten diesen Weg bereits eingeschlagen und waren daher keine offiziellen Modellstädte, aber auch sie genossen 1975 natürlich viel Aufmerksamkeit.

Diesen Geist des Denkmalschutzjahres vom Lebensumfeld der Menschen und vom städtebaulichen Ansatz brachte wahrscheinlich die Kampagne der in Bonn ansässigen NGO „Aktion Gemeinsinn“ mit am besten auf den Punkt: „Unser Lebensraum braucht Schutz. Denkmalschutz.“ Zu sehen war auf den bis heute berühmten Plakaten eine Häuserzeile eines historistischen Wohnquartiers aus dem 19. Jahrhundert, in dem ein Bau mit kräftigen schwarzen Strichen gleichsam ausradiert wurde. Diese damalige Kampagne wäre in ihrer Klarheit und der etwas biologistischen Sprechweise heute so wahrscheinlich nicht mehr denkbar, für die damalige Zeit aber bringt sie eine wesentliche Quelle zum Ausdruck, aus der sich eine breitenwirksame Begeisterung für Denkmalpflege und Denkmalschutz speisten: das alte Dorf, das gewachsene Quartier, die historische Stadt verteidigen gegen Abriss und gesichtslose Erneuerung.

Eine der offiziellen Publikationen inszenierte den Gegensatz denn auch in starken Bildpaaren, von denen die Gegenüberstellung des von Hochhäusern zerfressenen Frankfurter Westends und der Bamberger Altstadt eines der stärksten ist. Reine Propaganda, keine Frage. Aber für die gute Sache.

2005 zum Dreißigsten, 2015 zum Vierzigsten wurde schon viel auf 1975 reflektiert. Und gerade zum 50. Jahrestag 2025 ist noch manches an Reflexion zu erwarten. Denn die Aktualität ist groß, wenn man allein an die erfolgten und drohenden Novellierungen der (in den 1970ern mühsam errungenen) Denkmalschutzgesetze der alten Bundesländer erinnert. Aus der Tagung im März 2025 in Tutzing sei hier nur noch auf folgende Ergebnisse hingewiesen:

Denkmalschutz war 1975 auch wegen des breiten bürgerschaftlichen Engagements ein Erfolg – die Initiativen, Vereine und NGOs sollten also tunlichst auch heute mitsprechen, gefördert und gefeiert werden dürfen. Denkmalschutz hat es 1975 vermocht, den Zeitgeist zu treffen und breite positive Aufmerksamkeit zu bewirken. Ein Stück weit, weil er durch das Städtebauthema populär war und sich nicht als Fachwissenschaft vermittelte. Und schließlich: Denkmalschutz klappte damals auch dank Plakativität und durch die Inszenierung von Feindbildern – Moderne gegen Alt, Erneuerung gegen Erbe. Gerade das kann man so heute nicht mehr stehen lassen, denn ihre Kulturqualität hat die Moderne selber längst unter Beweis gestellt, und zwischen Neu- und Altbauviertel  muss kein unversöhnlicher Gegensatz bestehen. Deswegen lohnt sich bei allen Reflexionen doch nochmal der Blick nach Schweden, das 1975 auch sein Denkmalschutzjahr gefeiert hat. Während die wirkmächtige deutsche Kampagne der Aktion Gemeinsinn nämlich auch mit der Textzeile „Haus für Haus stirbt Dein Zuhause“ operierte, feierte man in Schweden mit folgendem Motto: „Låt husen leva“ – Lasst Häuser leben! Wenn wir uns diese positive Denk-Weise im Denkmalschutz noch stärker aneignen, wird 2025 bestimmt ein Grund zum Feiern, auch ohne „SOS“, wie ABBA es ebenfalls im April 1975 herausbrachte.

 

Text von Dr. Martin Bredenbeck, Mitglied des Vorstands der Deutschen Verbands für Kunstgeschichte.

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Foto: Tina van de Weyer

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