„Der Kampf gegen Judenhass muss Staatsziel werden“

Der Landesverein setzt sich dafür ein, dass das Bekämpfen von Antisemitismus in der Bayerischen Verfassung als Staatsziel verankert wird. Dr. Rudolf Neumaier, Geschäftsführer des Landesvereins, und Claudia Binswanger, Leiterin des Projekts„Netzwerk jüdisches Leben und historisches jüdisches Erbe in Bayern“ erklären, warum das gerade jetzt so wichtig ist.

 

Die Bayerische Verfassung ist wortmächtig und klar, sozial und auch visionär. Gemeinwohl und Rücksicht spielen eine große Rolle, der Journalist Heribert Prantl nannte sie einen „Liebesbrief an das Land Bayern und an seine Menschen“. Das Verbot von Rassenhass steht bereits drin. Warum fehlt Ihnen hier der Kampf gegen Antisemitismus?

 

Dr. Rudolf Neumaier: „Im Artikel 119 der Bayerischen Verfassung heißt es: ‚Rassen- und Völkerhaß zu entfachen ist verboten und strafbar.‘ Manche meinen, damit sei der Antisemitismus auch erfasst. Aber wir müssen weitergehen, gerade in einer Zeit wie jetzt. Der Kampf gegen Judenhass gehört als Staatsziel in die Verfassung. Judenhass ist Tausende Jahre alt und allein schon wegen dieser wahnsinnig langen Zeit derart exzeptionell, dass er explizit genannt werden muss.“

 

Gibt es schon eine Formulierung?

 

Neumaier: „Nein. Wir starten bewusst offen in diesen Prozess. Während in anderen Bundesländern Zwei-Drittel-Mehrheiten im Landtag reichen, muss in Bayern bei jeder Verfassungsänderung das Volk zustimmen. Deswegen kommt es sehr selten vor, dass die Verfassung geändert wird. Das ist auch gut so. Wir wünschen uns eine breite Diskussion und hoffen, dass möglichst viele Menschen an dieser Debatte teilnehmen.“

 

In anderen Bundesländern wurde der Kampf gegen Antisemitismus bereits in die Verfassungen aufgenommen. Welche Erfahrungen wurden dort gemacht?

 

Claudia Binswanger: „Es gibt fünf Bundesländer, die den Kampf gegen Antisemitismus in ihren Verfassungen verankert haben: Hamburg, Bremen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und seit Februar auch Mecklenburg-Vorpommern. Dort ist es überall als Staatsziel formuliert. Das entfaltet eine starke Signalwirkung, ist aber auch ein Handlungsauftrag an das jeweilige Bundesland. Brandenburg hat darauf aufbauend mehrere Maßnahmen in der Bildung, im Forschungsbereich und bei der Prävention beschlossen.“

 

Warum startet der Bayerische Landesverein für Heimatpflege seine Initiative gerade jetzt?

 

Claudia Binswanger: Wir registrieren seit dem 7. Oktober 2023 eine massive Zunahme an antisemitischen Übergriffen und Straftaten in Deutschland, auch in Bayern. Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS) waren es 2022 in Bayern noch 424 Vorfälle, 2023 schon 733.

 

Woher kommt der neue Judenhass?

 

Neumaier: „Viele Menschen differenzieren nicht zwischen jüdischem Leben und israelischer Politik. Sie werfen alles in einen Topf. Antisemitismus ist kein rein rechtes Problem. Es gibt ihn rechts, links und sogar auch in der Mitte. Mich persönlich macht es betroffen, wenn jüdische Familien jetzt wieder daran denken, die Koffer zu packen. Angesichts der Zunahme der Gewalttaten gegen jüdische Menschen in Bayern hätte ich an deren Stelle auch Angst. Und wenn man sich als jüdischer Mensch nicht mehr sicher fühlen kann, was ist denn das für ein Deutschland 2025, keine 80 Jahre nach der Shoah? Das ist ganz, ganz übel!“

 

Warum sieht sich der Landesverein in der Pflicht, die Initiative anzustoßen?

 

Binswanger: „Seit einem Jahr ist das Projekt ‚Netzwerk jüdisches Leben und historisches jüdisches Erbe in Bayern‘ beim Landesverein angesiedelt. Jüdische Geschichte und das jüdische Erbe sind ein wichtiger Teil der Heimatpflege und Heimatgeschichte. Wir wollen mit dem Projekt sichtbar machen, dass jüdisches Leben schon immer ein integraler Bestandteil von Bayern war und ist, auch wenn das die Mehrheitsgesellschaft nicht immer so gesehen hat. Der Schutz des jüdischen Lebens ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb hat der Landesverein diese Initiative ergriffen.“

 

Was konkret würde sich mit einem Staatsziel verändern?

 

Neumaier: „Wenn in der Bayerischen Verfassung als Grundsatz verankert wird, dass Judenhass zu bekämpfen ist, bekommt das eine andere Schlagkraft. Es sind immer wieder wichtige Punkte in die Bayerische Verfassung hineingekommen. Zum Beispiel der Naturschutz. Seit er drinsteht, hat das Thema mehr Gewicht. Die Rechtsprechung hat sich verändert und auch die Politik, weil sich Gruppen, die für das Thema eintreten, darauf berufen können. Auch der Denkmalschutz ist ein Verfassungsgrundsatz, das ist ein Staatsziel, auf das ich mich als Heimatpfleger berufen kann. Wenn das Bekämpfen von Antisemitismus zum Staatsziel wird, dann ist das ein Zeichen für die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber auch für uns, dass wir uns als Gesellschaft hier verantwortlich fühlen.“

 

Binswanger: „Auch ich höre oft von Jüdinnen und Juden, dass sie sich nicht mehr trauen, ihr Jüdisch-Sein in der Öffentlichkeit zu zeigen. Und ich weiß von jüdischen Studierenden, die sich nicht an die Uni getraut haben, wenn Demonstrationen oder bestimmte Veranstaltungen stattgefunden haben.“

 

Neumaier: „Der Verweis auf Artikel 119 mit den Begriffen ‚Rassen- und Völkerhaß‘ reicht einfach nicht. Da liegt der Einwand nahe: Es gibt doch keine Rassen. Deshalb brauchen wir explizit den Begriff Antisemitismus – man kann auch über Antiziganismus diskutieren. Dann wird es konkret und es gibt keine Missverständnisse mehr.“

 

Man sagt gerne: Der Weg ist das Ziel. Übertragen auf die Initiative: Geht es auch darum, das Thema auf der Agenda zu platzieren und den gesamtgesellschaftlichen Austausch darüber anzukurbeln?

 

Binswanger: „Ja, das ist ganz wichtig. Antisemitismus ist ein großes gesamtgesellschaftliches Problem und das ist nicht 1945 verschwunden. Wir müssen diskutieren, wie wir jüdisches Leben in Bayern schützen. Und auch darüber, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Viele Ehrenamtliche, mit denen ich zu tun habe, treibt der wachsende Antisemitismus um, aber auch die Frage, wie gefährdet unsere Demokratie zur Zeit ist.“

 

Jetzt haben Sie sich erst vor kurzem auf den Weg gemacht. Gibt es denn schon Signale, wer den Vorstoß unterstützt? Wen wollen Sie als Mitstreiter gewinnen?

 

Neumaier: „Wir arbeiten sehr eng mit dem Antisemitismusbeauftragten der Staatsregierung, Herrn Dr. Spaenle, zusammen. Außerdem hat sich die Akademie für Politische Bildung in Tutzing in Person von Frau Professor Ursula Münch angeschlossen, ebenso der Bund Bairische Sprache e. V. Wir bekommen zahlreiche Signale von diversen Verbänden, die sich in ihren Gremien mit der Frage auseinandersetzen wollen. Das Thema betrifft alle, den Sport, den Naturschutz, Kulturvereine, Traditionsvereine… Antisemitismus gibt es überall, dafür müssen wir sensibilisieren. Die Initiative muss aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Bisher haben wir nur positive Rückmeldungen bekommen. Das lässt mich hoffen.“

 

Angenommen, die Initiative scheitert und ihn Bayern findet sich keine Mehrheit für den Kampf gegen Antisemitismus. Das darf eigentlich nicht passieren, oder?

 

Neumaier: „Das wird nicht passieren. Und wenn doch, dann wüssten wir, dass vielen Menschen der Antisemitismus wurscht ist. Aber eben genau das glaube ich einfach nicht.“

 

Binswanger: Die Diskussion wäre angestoßen und würde weitergeführt werden.

 

Neumaier: „Ja. Das Problem ist in der Welt, und wir versuchen einen Lösungsansatz zu geben. Das Problem Antisemitismus wird auch in der Welt bleiben, wenn der Kampf gegen Judenhass als Staatsziel in der Verfassung steht. Aber man hat dann mehr staatliche Power. Und der Staat sind wir alle.“

 

 

Das Interview führte Angelika Sauerer.

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