Der Bildhauer und Architekt Fritz Koenig (1924-2017) hat unweit von Landshut ein Anwesen gestaltet und mit seiner Frau Maria belebt. Der Landesverein hat sich dem Bau- und Lebenswerk des Künstlers mit dem Architekten Markus Stenger und dem Koenig-Freund Dieter Wieland bei einer Führung für seine Mitglieder angenähert.
Text von Angelika Sauerer
Einen Berg – das bringt das Gelände mit sich – erklimmt man von unten: von dort, wo alles beginnt, bis dahin, wo es endet. Aus der Ursuppe schwingt sich der Weg auf, steigt vorbei an grob behauenen Wassertrögen aus Granit, geborgen von einem passionierten Erinnerungshüter: der „Grand“ als erster Fingerzeig menschlicher Existenz und letztes Relikt verfallener Bauernhöfe. Zwischendurch tun sich Lichtblicke auf, entlang wie zufälliger Sichtachsen, dort ein Findling, von Hand geglättet als Spiegel der Vergangenheit, und hier ein Zweibeiner, rostig, halb Tier, halb Mensch mit fragend geneigtem Haupt. Auf gewundenem Pfad, scheinbar mäandernd, aber planvoll angelegt von einem, der konsequent seinem Stiefel folgte: So nähern wir uns dem Künstler und Architekten Fritz Koenig.

Oben auf dem Ganslberg bei Landshut angekommen, weitet sich das Gelände. Ein breites Holztor und eine schmale Pforte akzentuieren die weiße Mauer, die auf der einen Seite in die Kuppe hinein- und auf der anderen um einen alten Baum herumwächst. Das Menschengemachte ordnet sich der Natur unter – und nicht umgekehrt. Proportionen sind mit Maß und Würde komponiert, Fenster rhythmisieren die Fassadenflächen von klein nach groß, als ob sie miteinander eine Melodie spielen. Jedem Gebäude wird ein Baum als Begleiter zur Seite gestellt. Form folgt Funktion, aber auch dem Goldenen Schnitt. Als Baumaterial wählte Koenig weiß gekalkte Ziegel und unbehandeltes, „lebendiges“ Holz. Der Dreiseithof aus Wohnhaus, Atelier und Pferdeställen, aber auch die großen Holzhallen oberhalb und die Werkscheune unterhalb fügen sich in die Landschaft ein, als wären sie ein Teil davon. „Des hat sich neiducka miass‘n ins Gelände“, sagt Dieter Wieland, der große Architekturjournalist und Filmemacher, der Fritz Koenig gut gekannt hat. „Er wollte das so bauen, dass es den Ganslberg nicht zerstört“, erklärt Wieland. Zerstört – oder zumindest massiv gestört – hat den Ganslberg etwas anderes, aber dazu später.
Zusammen mit dem Architekten Markus Stenger begleitet Dieter Wieland diese sehr besondere Führung des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege auf dem Ganslberg und lässt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an seinen Erinnerungen teilhaben. Es ist eine einmalige Chance – einmalig im doppelten Wortsinn. Wann hat man schon die Gelegenheit, sich einem Unikat wie Fritz Koenig auf so persönliche Art und Weise zu nähern? Koenig hat den Ganslberg geschaffen und seine Frau hat ihn mit Leben gefüllt. Maria starb 2010, Fritz 2017, doch ihre Magie lebt an diesem Ort weiter.
Man glaubt, Maria hinter dem breiten Küchenfenster vom Herd aus den Hof dirigieren zu sehen, den Hund Kaiphas stets an ihrer Seite. Oder Fritz auf einem seiner geliebten Araberhengste von einem Ausritt zurückkehren – ohne Sattel, Ross und Reiter dampfend und wie eins in der Bewegung. In der Küche und im Atelier liegen die Gerätschaften griffbereit, als ob die Bewohner bloß kurz draußen wären, um im Stall nach dem Rechten zu sehen, ein paar Tomaten zu ernten oder die Hühner zu füttern. Tatsächlich wirkt der Ort nicht, als müsste er wiederbelebt werden. Das ist auch das Verdienst von Markus Stenger, der das Vermächtnis der Koenigs so herrichtete, dass es Bestand hat: denkmalgerecht und mit feinem Gespür für die Eigenheit ihrer Schöpfer.

Zum 100. Geburtstag startete die Ausstellung „Lebensstationen“ im Koenigmuseum in Landshut. Und im Juni und Juli 2025, zum Ende des Jubiläumsjahres, öffnete sich der „Kosmos Koenig“ auf dem Ganslberg als lebendiges Denkmal dem Publikum. Nun steht die Frage im Raum: Wie geht es weiter mit dem Ganslberg? Dieter Wieland und anderen Mitstreitern schwebt eine Residenz für junge Künstler vor: „Der Ganslberg muss ein Ort der Kunst und der Kultur bleiben. Dann hätte das Lebenswerk von Maria und Fritz Koenig eine wunderbare sinnvolle und nachhaltige Zukunft.“
Fritz Koenig kam 1924 in Würzburg zur Welt, als Sohn eines aus der Reihe tanzenden Freigeists innerhalb einer Familie von Erfindern und Industriellen (Rotationsdruck) sowie einer den Künsten und dem Sport zugeneigten, emanzipierten Fabrikantentochter. Fünf Jahre nach Koenigs Geburt ließen sich die Eltern scheiden, Fritz zog mit seiner Mutter nach Landshut, wo sie erneut heiratete und der Bub zur Schule ging. Nach dem Abitur 1942 meldete er sich zum Kriegsdienst. Wegen der Skizze eines zerstörten deutschen Panzers erhielt er eine Verwarnung vor dem Kriegsgericht. Im April 1945 wurde Koenig schwer am Bein verletzt, entkam mit knapper Not einer Amputation.
In einem Film von Percy Adlon zitiert Koenig einen Satz des Schriftstellers John Updike: „Die Wahrheit der Kunst liegt im Leid, das sie birgt.“ Die existenziellen Erlebnisse haben ihre Spuren hinterlassen in seinen der Vergänglichkeit zugeneigten Werken, in denen das Menschliche oft mit dem Tierischen verschmilzt oder sich schützen muss gegen die Gewalt des Unmenschlichen. Nach Kriegsende studierte Fritz Koenig an der Münchner Kunstakademie mit dem Schwerpunkt Bildhauerei. In den 1950er Jahren feierte er erste internationale Erfolge, unter anderem bei der Biennale in Venedig, der Expo 58 in Brüssel und der Documenta in Kassel. 1964 wurde er an den Lehrstuhl für Plastisches Gestalten an die Fakultät für Architektur der Technischen Universität München berufen.
Sein wichtigstes Kunstwerk – neben dem Mahnmal für das Konzentrationslager Mauthausen (1983) und dem 1995 aufgestellten Denkmal für die Opfer des Attentats während der Olympischen Sommerspiele 1972 in München – hat in New York Geschichte geschrieben. Die „Große Kugelkaryatide N. Y.“, mit 7,64 Metern Höhe und einem Gewicht von fast 20 Tonnen einst größte Bronzeplastik der Neuzeit, stand von 1972 bis zu den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 in dem Brunnen zwischen den beiden mehr als 400 Meter hohen Türmen. Als kleiner David neben mächtigen Goliaths erinnert das Werk an einen Kopf mit Helm. „Der Helm ist da, weil mein Kopf nicht von den Türmen erschlagen werden soll, wenn sie einstürzen“, erklärte Fritz Koenig damals dem Architekten der Twin Towers, Minoru Yamasaki. Und so sollte es auch kommen: Die Karyatide überlebte den Einsturz. Mit ihren Dellen und Schrammen steht sie seit 2017 als Mahnmal unweit vom alten Standort im Liberty Park.
Entstanden ist sie – beziehungsweise ihr Abgussmodell – in der Werkscheune an der Ausfahrt zum Ganslberg. Der Bau der Kugelhalle hat Fritz Koenig fast genauso interessiert, wie die Kugel selbst. Denn während die Karyatide nach New York auswanderte, würde der Kokon, in dem sie an Nabelschnüren aus Gerüst und Leitern heranwuchs, bleiben. „Hab‘ mich sehr bemüht, den so in die Landschaft zu setzen, dass er hier diese Arbeit ermöglicht, aber später mich nicht irgendwo durch seine großen Ausmaße ständig an Großplastiken mahnt. Der steht jetzt drunten, also wenn man so an ihm vorbeikommt, kann man ihn für ein großes landwirtschaftliches Gebäude halten“, zitiert Dieter Wieland seinen Freund in einem Essay über den Architekten Fritz Koenig.

Während Fritz Koenig mit seiner Kunst die Welt eroberte, wurzelte er als Architekt und als Mensch – und im Übrigen auch sprachlich – im Niederbayerischen. 1956 hatte er die Landshuterin Maria geheiratet, bald danach begannen sie ihre später weltweit renommierte Araberzucht. 1959 kauften sie den Ganslberg, diese sanfte Hügelkuppe unweit von Landshut, wo er das ideale Zuhause baute: für sich, für Maria, für die Kunst, für seine Afrika-Sammlung und andere Fundstücke, für die Pferde, Hunde, Katzen und Pfaue. Als sich 1984 die Autobahn durch den Berg fräste, die obere Waldkoppel kappte und fortan der Lärm rasender Autos die Stille auffraß, ging auch in Fritz Koenig etwas zu Bruch. Der halbe Ganslberg, wie mit einem Schwert abgetrennt: Dieter Wieland hielt die Amputation mit der Kamera fest. Koenig wehrte sich gegen die Trassenentscheidung, aber es hat nichts genutzt. „Dadurch passierte was. Es wurde morsch, das war nicht mehr nur Patina“, beschreibt Dieter Wieland Fritz Koenigs Reaktion. Er hat sich innerlich ein Stück von seinem geliebten Ganslberg entfernt. Loslassen konnte er trotzdem nicht.
Den Plan, in das liebevoll sanierte Stadthaus nach Landshut zu ziehen, hat er nicht umgesetzt. Dieter Wieland erzählt von einem Gespräch mit Koenig im parkähnlichen Garten auf dem Ganslberg, wo noch heute die Königspfaue herumstolzieren: „Ich bin gern hier. Das alles habe ich gepflanzt. Das ist es, was man machen muss im Leben.“ – „Und die Kunst?“, fragte Wieland. „Ach, die Kunst…“, winkte Koenig ab. Sein letztes Haus, sein letzter Stadel, war eine einfache Holzkiste mit Satteldach, gebaut in der Kugelhalle sechs Jahre vor seinem Tod. Dieter Wieland berichtet, dass Koenig sich probehalber in den Sarg hineingelegt hat.
Am 14. September ist zum Tag des offenen Denkmals der Ganslberg frei zugänglich. Mehr Informationen finden Sie hier: https://www.freunde-fritz-koenig.de/veranstaltungen.php
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