Historische Anmerkungen zum Schafkopf – Beitrag von Günter Dippold

Vor 200 Jahren lässt der Münchner Theaterautor Adolph von Schaden (1791-1840) in einer Posse zwei hohe Offiziere sich unterhalten. Der eine erinnert den anderen, sie hätten vor Jahrzehnten auf Wache Schafkopf gekartet. „Das ist ein herrliches Spiel für Verliebte, dabei hat man nicht nöthig zu denken.“ Sein Gegenüber erwidert brüsk: „Schafkopf ist ein Spiel für gemeine Soldaten und für Bauern; aber für uns schickt sich so Etwas nicht, wir gehören zum Stabe.“ In diesem kleinen Dialog steckt zweierlei: ein übles Vorurteil und eine wahre Beobachtung.

Beim Schafkopf müsse man nicht denken – eine derartige Aussage kann nur einer tun, der Schafkopf nicht kennt. Dennoch findet sie sich immer wieder. Ein Schach-Schriftsteller ruft 1827 voller Ironie aus: „Schafkopf, herrliches Spiel! […] so abgeschmackt, so sinnlos Du auch immer seyn magst. Das ist ja eben das Schöne! Denn die Gesellschaft, die sich niedersetzt, um einen Schafkopf zu spielen, erklärt in liebenswürdiger Demuth: wir alle, einer wie der andere, sind Schafköpfe.“

Eine Prager Zeitung ereiferte sich 1868 über Leute in einer nordböhmischen Kleinstadt, die Produktionen des örtlichen Gesangvereins verschmähten, weil sie  es vorzogen, „an Sonn- und Feiertagen nach beendigtem Frühgottesdienste bis des Nachts sich mit dem albernen ,Schafkopfspiel‘ zu unterhalten, ein Spiel, das man nur denjenigen zumuten kann, die selbst des Lesens ganz unkundig sind“. Der deutsch-böhmische Bauernbund schimpfte 1896 über junge Landwirte, die „das so geist- und gedankentödtende Schafkopfspiel treiben“. Schmähungen solcher Art lassen sich mehr finden. Doch sie verkennen, dass ein Schafkopfer Strategie und Taktik, Psychologie und dazu spielerischen Wagemut braucht. Ohne blitzschnelles Abschätzen der Situation, ohne Geistesschärfe und Geistesgegenwart verliert man. Zu Recht gilt Schafkopf deshalb nicht als Glücks-, sondern als Geschicklichkeitsspiel. Dies wusste schon 1782 ein Leipziger Rechtsgelehrter, und Juristen nach ihm sahen es ebenso. Es war eine Ausnahme, wenn eine anhaltinische Verordnung 1808 Schafkopf unter die Glücksspiele rechnete – schlicht ein Fehler, den die dort Verantwortlichen machten.

Was dem Grunde nach zutrifft, ist der Satz des zweiten Offiziers aus Schadens Theaterstück: „ein Spiel für gemeine Soldaten und für einfache Leute“. Schafkopf ist nicht an Fürstenhöfen, nicht in vornehmen  Salons kultiviert worden, sondern in Wirtshäusern und Schenken, als Privatvergnügen der „kleinen“ Leute. Deswegen fehlen uns Quellen. Erst im späten 18. Jahrhundert können wir ein Kartenspiel namens Schafkopf fassen. Dabei gibt es Spiele mit Karten längst, hierzulande wohl seit dem 14. Jahrhundert. Auf einem Tafelgemälde von etwa 1470, das den Bußprediger Capestrano (1386-1456) zeigt, wie er auf dem Bamberger Domplatz gegen die Sündhaftigkeit wettert, sehen wir Menschen, die Mode-Accessoires, Spielbretter und Spielkarten, allesamt Sinnbilder der Verderbtheit, ins Feuer werfen.

Tarock beispielsweise ist ein uraltes Kartenspiel, das es damals schon gab. Schafkopf kann keine solch lange Tradition aufweisen; man kann sie wenigstens nicht belegen. Es ist auch kein Spiel, das einen namentlich bekannten Erfinder hätte wie Skat. Selbst der Ursprung des Namens ist nicht vollständig gesichert. Wahrscheinlich stammt es von dem schematisch, mit ein paar Strichen aufgezeichneten Schafkopf; wer durch gewonnene Spiele die nötigen Striche für den vollständigen Kopf hatte, war Sieger. Schafkopf ist auf ganz unbekannte Weise entstanden, wohl als Kopie höfischer Kartenspiele, namentlich des „L’Hombre“, das von Spanien über Frankreich bis nach Österreich seinen Weg fand. Im frühen 19. Jahrhundert ist Schafkopf jedenfalls da. Ein mathematisches Lehrbuch von 1825 erklärt Stochastik an seinem Beispiel: Wie wahrscheinlich ist es, so und so viele Ober oder Unter auf die Hand zu bekommen?

Der Landeshistoriker Bernhard Löffler aus Regensburg (daher ganz unverdächtig) stellte vor einigen Jahren fest: „Die speziell bayerische Version ist zuerst in den 1840er Jahren in – ich kann es uns nicht ersparen – Franken zu greifen und wandert dann nach Süden“. An anderer Stelle: „Der Schafkopf bewegt sich von Norden nach Süden, von der Oberpfalz (und Franken) nach Nieder- und Oberbayern“. Ganz eindeutig ist die Sache freilich nicht. Bereits 1810 schrieb ein Beamter in Laufen an der Salzach, unter den dortigen Schiffern finde neben anderen Kartenspielen das „Schafkopfen bey Gemeinen immer Liebhaber“. Doch in den Bayerischen Wald drang das Spiel tatsächlich erst spät vor. Der Münchner Kulturhistoriker Karl von Reinhardstöttner (1847-1909) beobachtete dort 1890 die Gäste in den ländlichen Wirtshäusern. Demnach „beschäftigt [sie] meist voll und ganz der Tarok, der nur in neuerer Zeit hier und dort dem ,Schafkopfspiel‘ hat weichen müssen“. Ein anderer Gelehrter, ein Allgäuer, stellte 1895 fest, dass in seiner Heimat dem Tarock „mancherorts das aus Franken importierte Schafkopfspiel Konkurrenz zu machen beginnt“. Und auch in der volkskundlichen Umfrage von 1908/09, die der Bayerische Landesverein für Heimatpflege – damals noch unter dem Namen Bayerischer Verein für Volkskunst und Volkskunde –
durchführte, werden diese beiden Spiele erwähnt. So heißt es beispielsweise aus dem mittelschwäbischen Dorf Glött: „Sonntagsvergnügungen bestehen […] im Winter ganz im Tarok- und Schafkopfspiel.“

Die große Zeit des Schafkopf hatte längst begonnen. Er wurde kultiviert; es erschienen Lehrbücher und gedruckte Regelwerke – das erste, sehr dünne, 1884 in Würzburg, ein etwas ausführlicheres 1895 in Amberg. Schafkopf wurde jetzt nicht mehr nur von einfachen Leuten gespielt, sondern auch von Honoratioren. Manches Spiel erregte überregional Aufsehen: Wenn Ende 1879 in Staffelstein ein Karter ein Herzsolo ohne Ober, ohne Unter, ohne Herz, also ohne auch nur einen Trumpf, gewann, dann berichteten über dieses Husarenstück sogar Zeitungen in Regensburg und
Ingolstadt. Das setzte aber voraus, dass genügend Leser die Sache, die Kühnheit jenes Staffelsteiners, einschätzen konnten.

Jedoch erlangte Schafkopf nie einen wettkampf-, gar sportartigen Status, wie ihn der Skat sich mit seinem ziselierten Regelwerk und seiner Gerichtsbarkeit schaffte, geschweige denn Schach, das eindeutig als Sport angesehen wird. Schafkopf ist laut und streitbar. Wehe dem, der nicht im rechten Moment sticht oder schmiert. Aber es ist und bleibt Spiel. Spielen mit realen Gegenübern hat etwas zutiefst Menschliches. Es stiftet Gemeinschaft, und dies ist heute wichtiger denn je.

 

Dieser Beitrag von Prof. Dr. Günter Dippold erschien in Heft 1 der Schöneren Heimat 2025. Sie finden dort die Original-Version des Textes mit Anmerkungen und Fußnoten.
Bild: Holzstich-Illustration des Gemäldes „Die vier Temperamente“ von Eugen Stieler (1845-1929). Sunny Celeste (Alamy Stock Foto).

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