Welche Strategien helfen, um jüngere Menschen für den eigenen Verein zu begeistern und die Vereinsarbeit insgesamt attraktiver zu gestalten? Im Interview sprechen Julia Leisner (Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern) und Michael Blatz (Vereinsberater) über die Chancen des „Neuen Ehrenamts“, moderne Vorstandsstrukturen und darüber, wie Heimatvereine als Orte der Gemeinschaft eine besondere Rolle spielen können.
Vor welchen Herausforderungen stehen Heimatvereine aktuell?
Michael Blatz: Die Vereinslandschaft hat sich stark verändert. Heimatvereine stehen dabei vor denselben Herausforderungen wie viele andere Vereine: Konkurrenz durch vielfältige Freizeitangebote, veränderte Interessen und Mobilitätsanforderungen. Früher trat man einem Verein bei und blieb dabei. Heute gibt es viele Optionen, und Menschen hinterfragen, wo sie ihre Zeit investieren.
Julia Leisner: Durch unser Coaching mit dem Landesverein im Herbst 2024 habe ich einige Heimatvereine näher kennengelernt. Die größten Herausforderungen waren eine gewünschte Verjüngung aufgrund von Überalterung der Mitgliedsstrukturen und eine damit verbundene Zukunftsfähigkeit. Diese Themen betreffen viele Vereine, nicht nur Heimatvereine. Die Gesellschaft altert, das wirkt sich auf Vereine aus.
Bei Heimatvereinen gibt es eine doppelte Herausforderung: strukturelle Fragen und eine „Modernisierung“ des Heimatbegriffs. Der ist nämlich durchaus anschlussfähig an aktuelle gesellschaftliche Themen, oder?
Michael Blatz: Menschen suchen in Vereinen oft ein Stück Heimat – nicht nur den Vereinszweck, sondern auch Gemeinschaft. Heimatvereine könnten das gezielt nutzen, gerade für Neuzugezogene. Wenn sie sich öffnen, können sie eine integrative Funktion übernehmen.
Das ist eine schöne Perspektive! Was hat das „Neue Ehrenamt“ mit den Herausforderungen zu tun?
Michael Blatz: Sehr viel. Menschen engagieren sich heute eher projektbezogen und befristet. Sie möchten sich einbringen, aber auch wieder aussteigen können. Das liegt an veränderten Lebensumständen wie Arbeitsanforderungen oder häufigeren Umzügen. Zudem prüfen sie stärker, ob ihnen das Engagement persönlich etwas bringt. Wenn sie nur als Arbeitskraft gesehen werden, springen sie ab.
Julia Leisner: Das Neue Ehrenamt bringt Themen wie Mitgestaltung, Mitsprache und flachere Hierarchien mit sich. Vereine müssen Vorstandsrollen überdenken: Wie kann man sie entlasten? Braucht es kürzere Amtszeiten oder eine breitere Aufgabenverteilung? Das waren auch Themen unseres Coachings.
Viele Vorstände sind überfordert, und Nachfolger wollen diese Belastung nicht übernehmen. Wie kommt man raus aus dieser Misere?
Michael Blatz: Eine Lösung ist eine flexiblere Vorstandsstruktur mit Arbeitsgruppen. Ein Beispiel: Ein mir bekannter Verein hat seinen Vorstand von vier auf 18 Personen erweitert. Das ist ein radikaler, aber effektiver Schritt, um Verantwortung zu teilen und die Belastung zu reduzieren.
Und wie lassen sich neue Mitglieder gewinnen?
Julia Leisner: Vereine müssen die Nutzerperspektive einnehmen und sollten sich fragen: Warum sollten Menschen sich engagieren? Was bietet der Verein ihnen? Statt nur Informationen und Beratung sollte die Botschaft sein: „Hier kannst du Heimat mitgestalten.“ Diese Umkehr der Perspektive ist ein wichtiger Schritt.
Michael Blatz: Viele Vereine müssen ihre Denkweise ändern. Neue Mitglieder haben feine Antennen und merken schnell, ob ein Verein zu ihnen passt. Sie kommen oft gar nicht erst, wenn die Strukturen unattraktiv wirken. Vereine sollten sich deshalb verstärkt an den Bedürfnissen potenzieller Mitglieder orientieren.
Wir haben viel über Verjüngung gesprochen. Wie können Vereine jüngere Menschen ansprechen?
Michael Blatz: Meiner Meinung nach braucht man immer eine Basis, also eine ausreichende Rekrutierungsgrundlage, sprich einen Pool von Menschen, die potenziell mitwirken könnten. Der erste Schritt ist daher, diese Basis zu vergrößern, also neue Mitglieder zu gewinnen. Dabei muss man sich genau überlegen, wen man tatsächlich erreichen will. Es geht darum, zielgruppengerechte Angebote zu entwickeln. Wenn ich mehr Kinder- und Jugendarbeit machen will, brauche ich kindgerechte Konzepte und muss Eltern gezielt ansprechen. Es kann über Veranstaltungen geschehen, bei denen Eltern und Kinder Spaß haben und das sichere Umfeld des Vereins schätzen lernen.
Julia Leisner: Ich bin Mitglied in einem Sportverein, weil das Angebot für meinen Sohn passt. Ich engagiere mich dort aber nicht aktiv. Das ist für mich auch eine Frage der Lebensphase: Mit kleinem Kind und Beruf bleibt wenig Zeit. Menschen engagieren sich aus unterschiedlichen Gründen: Gemeinschaft, konkrete Angebote oder Möglichkeiten der Verwirklichung. Entsprechend sollten Vereine Räume für diese Bedürfnisse schaffen.
Wie sollen sich Vereine präsentieren? Tun sich die Vereine schwer damit?
Julia Leisner: Jeder Verein braucht eine öffentliche Präsenz. Ohne Online-Sichtbarkeit existiert man praktisch nicht. Eine aktuelle Webseite ist essenziell, veraltete Inhalte wirken abschreckend. Darüber hinaus muss man strategisch wählen, welche Kanäle sinnvoll sind. Nicht jeder Verein braucht Social Media, aber er muss sich darüber im Klaren sein, wie und wo er seine Zielgruppen erreicht.
Michael Blatz: Ein klares Ziel ist entscheidend. Ein Werbemittel allein bringt nichts, wenn nicht klar ist, was man erreichen will. Die gewählten Kanäle sollten zur Zielgruppe passen. Einige Vereine mit jüngeren Mitgliedern verzichten auf eine Webseite und setzen nur auf Instagram. Hat man das einmal definiert, sollte man auf Wiedererkennbarkeit achten: Logo, Design, Corporate Identity – all das spielt eine Rolle..
Stehen Heimatvereine vor anderen Herausforderungen als andere Vereine?
Michael Blatz: Die Herausforderungen sind für alle Vereine ähnlich, ob Sport-, Heimat- oder sozial ausgerichtete Vereine. Der Unterschied liegt in den Menschen, die sie gestalten. Manche sind offen für Veränderung, andere haben noch sehr traditionelle Vorstellungen. Unsere Aufgabe ist es, diejenigen zu unterstützen, die mutig vorangehen, und gleichzeitig denjenigen Hilfe zu bieten, die sich mit Neuerungen schwertun.
Julia Leisner: Dabei dürfen wir nicht vergessen: Engagement unterscheidet sich vom Berufsleben. Es braucht nicht immer volle Professionalisierung, sondern auch kreativen Raum zum Ausprobieren und eine positive Fehlerkultur.
Das Interview führte Dr. Daniela Sandner.
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