Ein Abend mit Dieter Wieland

Podiumsgespräch mit dem Journalisten und Filmemacher am 1. Oktober 2024 in RegensburgHinfahrt mit dem Zug. Zu Fuß durch die edel möblierte Maximilianstraße, vorbei an der Dombaustelle auf buckligem Granitpfaster, durch verwinkelte Gassen zum mächtigen Haus der Bayerischen Geschichte, wo ein Gesprächsabend mit Dieter Wieland stattfindet. Stellvertretend für den Hausherrn Dr. Richard Loibl begrüßt dessen Referatsleiter Dr. Andreas Kuhn, der die Hauptperson des Abends als „heimlichen Paten“ der aktuellen Ausstellung „Ois anders. Großprojekte in Bayern 1945 – 2020“ bezeichnet und ihn als unvergleichlichen, unerreichten Journalisten lobt, der viele, viele Menschen erreicht und ganz viel bewirkt hat. Und der jetzt von gut 200 Zuhörern lang anhaltenden, brausenden Begrüßungsapplaus bekommt.Als der Interviewer Dr. Rudolf Neumaier, Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, einen Zusammenschnitt von Wielands Film über Regensburg ankündigt, zuckt der Filmemacher sichtlich zusammen und erzählt von seinen Kindheitserinnerungen: Der vom noblen Berlin-Dahlem nach Landshut verschlagene Knabe erlebt Regensburg als große, enge, dunkle Stadt. Das Café am Dom mit der imposanten Treppe kommt ihm in den Sinn, „die allein schon ein Eintrittsgeld wert wäre“. Und das Verdikt seines Onkels, eines Bankers: „Wenn auf Regensburg mehra Bombn gfoin wärn, hätt ma jetzt a neue Stadt!“ Ein prägendes Urerlebnis. Das gut zehnminütige Filmkonzentrat enthält die typischen Ingredienzien aller Wieland-Filme: Seine eindringliche Stimme. Die klaren, hellsichtigen Erläuterungen und scharfzüngigen Verurteilungen von gemachten und drohenden Bausünden. Die Beschreibung der Stadtcharakteristika mit ihren unverwechselbaren Elementen. Die Beschwörung des letzten Grüns, das immer begehrlicheren mammongetriebenen Bauwünschen zum Opfer fällt.Erster Wieland-Merksatz: „Städte werden nur von Menschen erhalten, die sie lieben.“ Deshalb gibt’s ein Sonderlob für die Regensburger Altstadtfreunde und alle engagierten Bürgerinnen und Bürger, aber auch für alle seine Lehrmeister wie seinen Volksschullehrer und seinen Uniprofessor Hans Sedlmayr, der ihm das Sehen und das Gefühl für Architektur und Städtebau vermittelt hat. Zweiter Wieland-Merksatz: „Vergesst’s die Leute nicht, die die Stadt gerettet haben!“ Und er fragt sich: „Mein Gott! Warum sind’s so wenige, die den Mund aufmachen?“ Dritter Wieland-Merksatz: „Es hängt immer von Menschen ab. Du brauchst Leute, die dich beschützen und dir den Rücken stärken.“ Beim BR waren dies der langjährige Intendant Christian Wallenreiter und der Redakteur Heinz Böhmler. Und der Hans Roth als Vertreter des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege im BR-Rundfunkrat.Vierter Wieland-Merksatz: „Du darfst dir nie einen Fehler erlauben, wenn du die Mächtigen kritisierst und angreifst.“ Ein verführerisches Angebot von Franz Josef Strauß als Redenschreiber hat er abgelehnt trotz Gedanken an listige Sätze, die er ihm hineinschreiben hätte können. Tipps wie „Machen Sie sich doch keine Schwierigkeiten“ hat er an sich abtropfen lassen, denn seine Quoten haben gestimmt und ihn so geschützt.Als Journalist und Filmemacher hat er gegen eherne Gesetze des Mediums verstoßen: Statt spätestens nach drei Minuten eine Pause zugunsten von Musik einzulegen, hat er 43 Minuten durchgeredet. Nur er selbst konnte ja die bis zur letzten Minute unter höchstem Zeitdruck ausgeschwitzten Sätze lesen und sprechen, obwohl die Profis damals gemeint haben: „Du musst den Fritz Straßner sprechen lassen. Dann hast du eine breite Zuschauerschaft“.Er hat sie auch ohne die tiefe Bassstimme des beliebten Schauspielers gehabt – und der Wieland-Sound war schon bald bei vielen Kult. Bei anderen aber auch Grund zum Davonlaufen, weil er halt so oft Misstände beim Namen genannt hat und so verzweifelt negativ rübergekommen ist. Eindrucksvoll sein auch im Rückblick immer noch gültiges Plädoyer für den Erhalt der Ruine des Armeemuseums in München. Fünfter Wieland-Merksatz: „Ich habe oft verloren und mehr Niederlagen als Erfolge erlebt.“ Auf Neumaiers Frage, wie er so ein gewiefter, brillant schreibender Journalist geworden ist, antwortet der vom Kollegen Gelobte: Als Einzelkind habe er halt viel gelesen, unter anderem den ganzen Karl May. Im Freundeskreis hat er sein Talent zum Erzählen und Interpretieren von Stegreifgeschichten entdeckt. Aber zur Schauspielerei hat’s ihn letztlich nicht hingezogen, weil er „lieber sein eigener Regisseur ist“. Wieland geißelt heute die Aufhübschung des Max-Joseph-Platzes in München mit einer „Schrebergartenplanung“, die anstatt der Flusskiesel, die derzeit ausgebaut werden, Bänkchen und Rabatten vorsieht. Wo doch die lange südexponierte Bank entlang der Residenzfassade völlig langt zum Anbandeln und Sonnenbaden. Er prangert die blöde Stellplatzverordnung an, die in den Innenstädten Bäume verdrängt, die ungebrochene Macht der Straßenbauer und deren Dummheit, unzählige Brücken zu bauen, die schon bald sanierungsbedürftig sind. Er vermisst kompetente Fachleute wie den genialen Architekten, Straßenplaner und Naturschützer Alwin Seifert, die Straßen und Autobahnen in die Landschaft einfügen und der Topografie anpassen. Dritte Fahrspuren waren seither für Kilometer von straßenbegleitenden Baumalleen das Todesurteil.PV-Module in Innenstädten mit schützenswerten Dachlandschaften sind Wieland ein Graus, genauso wie die sogenannte „Vereinfachung“ des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes, das unter anderm den Wegfall des Ensembleschutzes beinhaltet. Für die Luftqualität in Innenstädten sind Frischluftschneisen essentiell – viel wichtiger als ein paar neue Bäume –, doch leider sind sie oft verbaut und verloren wie in Regensburg durch die Uniansiedlung auf dem Hügel. Bürokratieabbau ist meist ein gern verwendetes Zauberwort, unterm Strich aber eine leere Hülse. Unsere Vorfahren haben uns einen unvergleichlich schönen Städtebau hinterlassen. Heute zerstören inkompetente Politiker und Verwaltungsleute ohne baukulturelle Bildung dieses Erbe und segnen schlechte neue Baugebiete vom Fließband ab. Kosten für fundierte Planungen machen nur einen Bruchteil der investierten Baukosten aus. Auch die frisch gewählte EU-Präsidentin Ursula von der Leyen bekommt ihr Fett weg: „Sie hat sich die notwendigen Stimmen durch die Torpedierung strengerer Auflagen für die Landwirtschaft und im Naturschutz erkauft und so eine 30-jährige mühsame Vorarbeit mit einem Federstrich beseitigt.“ Das windige Tiroler Immobilien-Bürscherl René Benko hat mit Unterstützung der Landeshauptstadt und der Denkmalpflege die Alte Akademie zerstört und jetzt „haben wir alle den Schaden.“Trotz des ausführlichen Lamentos über die aktuelle Lage und die Sünden der Vergangenheit sollte auch der sechste Wieland-Merksatz beherzigt werden: „Ich würde mich nie geschlagen geben, wenn ich eine gute Idee habe.“ In diesem Sinne hat Landesverein deshalb heuer erstmals den Erich-Schosser-Preis zu Ehren des CSU-Politikers, dem das seit über 50 Jahren bestehende Bayerische Denkmalschutzgesetz maßgeblich zu verdanken ist, ausgelobt. Die Auszeichnung geht an vorbildliche Kommunalpolitiker, die sich um die bayerische Baukultur verdient gemacht haben.Für engagierte Journalisten gibt seit letztem Jahr zudem den Dieter-Wieland-Preis des Landesvereins. Dazu passt der siebte Wieland-Merksatz. „Wir loben viel zu wenig.“ Er erzählt, dass er auf seine älteren Tage zum Bettler geworden ist. So wie Oskar von Miller, der auf allen seinen Vorträgen vor hochrangigen Persönlichkeiten seinen Zylinder, bestückt mit einer extra hohen Banknote, herumgehen hat lassen und so das Deutsche Museum zusammengeschnorrt hat. Mit ähnlicher Methode hat Dieter Wieland für den Erhalt und die Rettung des Emanuel von Seidl-Parks in Murnau schon stolze 400.000 Euro aufgetrieben und somit den Park vor dem Vergessen und Verlust bewahren können. Für Führungen vor Ort steht er allen Interessierten gerne zur Verfügung.Auf die Publikumsfrage, ob er nicht mehr für die Bildung der Heranwachsenden tun könne, erwidert Wieland: „Mein Film ‚Unser Dorf soll hässlich werden‘ “ ist der meist kopierte und heruntergeladene Beitrag aus der BR-Mediathek.“ Und ja, er war die letzten Jahrzehnten in sehr vielen Schulklassen, aber jetzt geht ihm mit fast 90 Jahren allmählich die Kraft aus. Auf die Frage „Sind die Leute gescheiter geworden?“ fasst Wieland sein Wirken im achten Merksatz wie folgt leicht resignierend zusammen: „Ich hab’s geglaubt – jetzt glaub ich’s nimma!“Nach zweieinhalb Stunden sind alle erschöpft und ich trete meinen Heimweg durch den von Wieland überschwänglich gelobten Städtebau der Regensburger Innenstadt Richtung Bahnhof an. Und meine Motivation, Wieland live erleben zu wollen, ist durch einen besonderen Abend belohnt worden.Helmut Wartner, Landschaftsarchitekt. Foto: Matthias EttingerDieser Text wird auch in Heft 1 der Schöneren Heimat 2025 erscheinen.
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