Die Kirche im Dorf

Was wird aus unseren Kirchen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden? Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege hat diese Frage auf einer Tagung in all ihren Facetten ausgelotet.

Auf dem Malblock ist alles an seinem Platz. An einen Quader – schwarz umrandet, hohe Rundbogenfenster, breites Tor, rote Dachziegel – schmiegt sich ein Turm mit spitz zulaufendem Dach. Rundherum gruppieren sich kleine Häuser, Giebel an Giebel. Grüne Wiesen und blauer Himmel bilden den Hintergrund und von oben strahlt die Sonne. Wenn Kinder ein Dorf malen, steht die Kirche wie selbstverständlich in der Mitte. Doch aus der Mitte der dörflichen und städtischen Gemeinschaften wird sie mehr und mehr verdrängt. Die Menschen bleiben aus, Pfarreien schließen sich zusammen und viele Kirchen werden nur mehr selten, oft gar nicht mehr genutzt.

Was geschieht mit den Gebäuden?

Diese Frage rührt ans Innerste einer Gesellschaft. Man muss nicht gläubig sein, um den Verlust von Identität, Erinnerung und Bindung zu spüren, der mit dem Wegfall geistlicher Heimat einhergeht. Vielleicht wird einem die Dimension der Lücke an Weihnachten besonders bewusst, wenn sich Kirchen füllen, die sonst leer stehen – und deshalb womöglich nicht mehr lang als Glaubensorte existieren werden.

Andererseits ist die Frage auch ganz praktischer Natur: Wertvolle, ungenutzte Bausubstanz in bester Lage, oft denkmalgeschützt, trifft auf den Bedarf nach Räumen für soziale, öffentliche oder auch private Belange.

Geht das? Darf man das? Was ist verträglich? Und: Wie kann es aussehen?

Ende November hat der Bayerische Landesverein für Heimatpflege bei einer Tagung über die Zukunft der Kirchengebäude das Thema in seiner ganzen Dimension auf die bayerische Agenda gesetzt. Denn während in anderen Bundesländern der Schwund rapide voranschreitet, steht in Bayern diese Entwicklung noch am Anfang, wie Ordinariatsrat Dr. Walter Zahner, Regensburg, bestätigt. Sie betrifft sowohl katholische wie auch evangelische Pfarrgemeinden.

In ganz Deutschland sind rund 40.000 Kirchen und Kapellen in kirchlichem Besitz. Viele Landeskirchen und Bistümer haben sich vorgenommen, in den nächsten zehn bis 15 Jahren zwischen 30 und 50 Prozent aller ihrer kirchlichen Gebäude einzusparen – inklusive Pfarrhäuser und anderer Gemeindebauten. Zwischen 2006 und 2018/2019 sei der Bestand in beiden Konfessionen um je ca. 500 Kirchengebäude reduziert worden, rechnet die Kunsthistorikerin Dr. Manuela Klauser von der Forschungsgruppe TRANSARA vor. Das sind durchschnittlich 80 Kirchen pro Jahr. In Bayern sind Profanierungen bisher Einzelfälle, doch auch hier gibt es Schlagzeilen, zum Beispiel diese: „Nachmieter beim lieben Gott“. Der Architekt Rainer Wilhelm aus Gempfing hat die ehemals evangelische Lukaskirche in Kelheim, ein Bau des bekannten Architekten Olaf Andreas Gulbransson aus den 1960er Jahren, in Ferienwohnungen umgebaut. Auf dem Altar steht jetzt ein Grammophon. Der Bau hätte nach der Entwidmung 2016 wohl nicht lange überlebt, wäre Wilhelm nicht eingeschritten. Die runde Kirche mit dem Zwiebelturm stand fünf Jahre leer, die Mauern bröckelten, der Keller war geflutet, die Haustechnik marode. Mit seiner Rettungsaktion bewahrte der Architekt in Eigenregie ein Denkmal vor dem Verfall.
Der Architekt Björn Rohde stellte in seinem Werkbericht die gelungene Transformation der Klosterkirche am Maristen-Kloster in Furth bei Landshut in einen Bürgersaal vor.
Dr. Kaja Voss ging auf die Architekturhaltung des Kirchenbaus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ein, indem sie das Gesamtwerk des Kirchenbauarchitekten Franz Lichtblau zeigte.

Was verträglich ist und was nicht, muss eine Gesellschaft immer wieder von Neuem aushandeln. Restaurant oder Kinderkrippe, Gemeindesaal oder Fitness-Studio, Bibliothek oder Tanzclub, Konzertsaal oder Wohnung? Das im Mai veröffentlichte Kirchenmanifest von zehn Partner-Organisationen aus Baukultur, Forschung und Stiftungswesen entwirft Leitlinien für eine bewahrende Nutzung aufgelassener Kirchenbauten, die ihren Status als kulturelles Erbe sowie als sozialen oder persönlichen Erinnerungsort respektiert.

Der Blick über den Tellerrand schadet nicht, wenn man religiöses Erbe bewahren möchte. Die Oberpfalz hat sich auf der Suche nach sinnvollen Nutzungen nicht mehr benötigter Kirchengebäude dem EU-Projekt „Religious Heritage in Rural Areas“ angeschlossen. „Als wir vor zwei Jahren angefragt wurden, uns an diesem Forschungsprojekt zu beteiligen, war nicht absehbar, dass das Problem auch hier so schnell auf uns zukommen wird, sagt Dr. Tobias Appl, Bezirksheimatpfleger im Bezirk Oberpfalz. „Man hatte ein Stück weit das Gefühl, in der Oberpfalz gehen die Uhren noch anders. Und das ist vielleicht auch so.“ Aber vielleicht nicht mehr lange. Inzwischen sei das Thema auch hier angekommen, so Appl.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass mit Kirchengebäuden nicht immer so rücksichtsvoll umgegangen wurde. Nach dem Kirchenbauboom im ausgehenden Mittelalter, mit dem die Menschen durch Wallfahrten und Ablass dem Fegefeuer zu entkommen suchten, setzte nach der Reformation die Gegenbewegung ein, berichtet Prof. Dr. Günter Dippold, Bezirksheimatpfleger im Bezirk Oberfranken und Stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege. Kirchen wurden fein säuberlich ausgeräumt, Wallfahrtskirchen nicht selten ganz zerstört. Die Steine fanden sich in Stadt- und Friedhofsmauern wieder, Türme wurden als Wachtürme genutzt, Chorräume als Pulverhaus, Kapellen als Fasslager und Kirchenschiffe als Schüttboden für Getreide oder Werkstatt für Seifensieder. Ein paar Jahrhunderte später gab es auch den umgekehrten Fall: Aus der Vergnügungsgaststätte „Elysium“ – Nomen est omen – wurde nach dem Ersten Weltkrieg die Himmelfahrtskirche München Sendling, erzählt Stefan Lautner, Leiter des Baureferats der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern. Jetzt laute das Ziel anders: keine Kirchen aufzugeben, auch wenn insgesamt die Gesamtfläche aller Immobilien um die Hälfte reduziert werden müsse. Lautner wirbt für kreative Umwidmungen, mehr Flexibilität und eine verstärkte Kommunikation der Thematik in die Gesellschaft.

Steigende Kosten und dringend notwendige Sanierungen lassen wenig Spielraum. Durch die anhaltend hohe Zahl der Austritte sind die beiden großen Kirchen im Zugzwang. 2023 kehrten 402.000 Menschen der katholischen Kirche den Rücken, 106.000 davon in Bayern. Die evangelische Kirche verzeichnete im vergangenen Jahr etwa 380.000 Austritte, 59.000 betrafen Bayern. Die Zahlen liegen damit etwas niedriger als im Rekordjahr 2022. Auch Ordinariatsrat Zahner betont: „Wir stehen unter Druck. Die Sachlage verbessert sich nicht. Immer mehr Kirchen werden hinterfragt.“ Man müsse schneller werden mit Ideen und vertieft darüber diskutieren, was ein Kirchenraum ist und sein kann. Dies sei definitiv auch eine theologische Frage.
Wie wir mit den Kirchen umgehen, spiegle die jeweiligen gesellschaftlichen und religiösen Verhältnisse einer Zeit, sagt Dr. Maximilian Gigl von der Eugen-Biser-Stiftung in München. Er verweist auf die Besonderheit, dass im Deutschen das Wort Kirche für die Gemeinschaft und das Gebäude stehe. Wann eine Kirche als genutzt gelte, sei Definitionssache: Muss es regelmäßig sein? Reicht es nicht auch, wenn sie einmal in Jahr an Weihnachten besucht wird? Oder wenn man in einer Krisensituation eine Kerze anzündet? Eine Kirche hat auch im Wartezustand ihre Berechtigung. Gigl wünscht sich manchmal etwas mehr Innehalten. Oder mit anderen Worten, dass man die Kirche im Dorf lässt.

Obwohl viele Menschen die Glaubensgemeinschaften verlassen, sind sie weiter auf der Suche nach Halt. Flucht, Krieg, Klimawandel, Angst um die Zukunft und um die Sicherheit setzen ihnen zu. Die Welt mit ihren Problemen rückt näher an die Heimat heran. Christian Brückner von Brückner & Brückner Architekten aus Tirschenreuth und Würzburg will den Menschen mit Architektur Halt geben. Das Büro hat preisgekrönte Umwidmungsprojekte realisiert, zum Beispiel in Neumarkt i. d. Oberpfalz (Christuskirche) und Schweinfurt (St. Anton). Wir brauchen „Räume für die Seele“, sagt Brückner, offen für alle zur inneren Einkehr. Verlorene Kirchen können es, auch ohne Kirchen zu sein, wieder werden.

 

Die Tagung „Was wird aus unseren Kirchengebäuden?“ fand am 21. und 22. November 2024 in den Tagungsräumen von Vierzehnheiligen in Bad Staffelstein statt.


Der Umbau der Klosterkirche am Maristen-Kloster in Furth bei Landshut kann im Rahmen der Hausbesuche der Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege am Freitag, den 11. Juli 2025 von 15:00 bis 17:00 Uhr besichtigt werden: https://www.heimat-bayern.de/veranstaltungen/hausbesuch-69-i-weiternutzung-einer-klosteranlage-und-schaubrauerei/

Text von Angelika Sauerer.
Foto von Alexey Testov.

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