„Leider sind alle Beispiele tragisch“
„Abriss des Jahres“ steht fest: Wagnergasse 2 in Landshut vor Handwerkerhaus und Atomkraftwerk-Türmen – zahlreiche Kommentare zur Aktion des Landesvereins für Heimatpflege
Der bedauernswerteste „Abriss des Jahres“ 2024 steht fest. Eine bayernweite Abstimmung des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege hat ergeben, dass der Abriss eines denkmalgeschützten Gebäudes in der Landshuter Wagnergasse weithin als bedauernswertester Verlust empfunden wird. Auf Platz zwei auf der Liste von zwölf Abrissen des vergangenen Jahres landete das historische Handwerkerhaus in Bad Birnbach und auf Platz drei die Kühltürme des AKW Grafenrheinfeld.
Insgesamt nahmen mehr als 1700 Personen an der Abstimmung teil – wieder ein Zuwachs von mehreren hundert Stimmen im Vergleich zum Vorjahr.
Auf den Landshuter Abriss entfielen 447 Stimmen, 226 Stimmen weniger auf Bad Birnbach (221 Stimmen) und für die Kühltürme votierten 197 Teilnehmer. Auf den Plätzen 4 bis 6 landeten das jüdische Wohnhaus in Coburg (184 Stimmen), das Haus am Spitalberg in Burgau (173 Stimmen) und die Schlosswirtschaft in Planegg (132 Stimmen).
„Die Teilnehmerzahl bei unserer Aktion steigt trotz vergleichsweise hoher Teilnahmehürden kontinuierlich“, sagt Dr. Olaf Heinrich, der Vorsitzende des Landesvereins. „Das zeigt den Stellenwert der regionalen Baukultur für die Menschen und für ihr Heimatgefühl. Denn bayerische, fränkische und schwäbische Heimat besteht eben nicht nur aus Dialekten oder Bräuchen, sondern eben zu einem sehr bedeutenden Teil auch aus dem gebauten Erbe. Je mehr wir an historischer Bausubstanz verlieren, umso mehr büßen wir an Materie ein, die die Ästhetik unseres Landes prägt und die Bayern besonders macht.“
Bei der nun schon zum dritten Mal veranstalteten Aktion „Abriss des Jahres“ geht es laut Dr. Rudolf Neumaier, Geschäftsführer des Landesvereins für Heimatpflege, nicht nur um Gebäude, die auf der Denkmalliste standen, sondern generell um Bestandsbauten. „Eigentlich ist es schon allein aus ökologischen Gründen ein großer Fehler, Häuser abzureißen und damit unnötig Energie für den Abriss selbst und für den Neubau zu verschwenden statt sie weiterzuentwickeln. Dass das durchaus möglich ist, zeigen hunderte gute Beispiele in ganz Bayern. Zwei Wochen im Jahr legen wir vom Landesverein mit der Aktion ‚Abriss des Jahres den Finger in die Wunde, um Entscheidungsträger zu sensibilisieren. Die anderen 50 Wochen bringen wir Best-Practice-Beispiele unter die Leute.“
Dabei setze man seit Jahren auf die Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege und mit dem Ehrenamtlichen-Netzwerk Denkmalnetz Bayern.
Die Möglichkeit, Kommentare zu ihrer Stimmabgabe abzugeben, haben viele Teilnehmer genutzt. Hier einige Beispiele:
„Es ist wirklich schwer auszuhalten, diese Liste der abgerissenen Häuser durchzuschauen. Jedes für sich ist ein Gebäude mit Geschichte, Wirkung in seine Nachbarschaft, verankert im Gedächtnis der ehemaligen Nutzer, der Nachbarn und der Passanten. Wie kann es sein, dass immer noch nicht der unschätzbare Wert historischer Gebäude anerkannt und BEPREIST wird, wenn solche Entscheidungen getroffen werden? Der ökologische Irrsinn ist dabei noch nicht einmal erwähnt! Traurig…“
„Leider sind alle Beispiele tragisch, respektlos und ignorant. Der Abriss ist bei keinem der Beispiele zu rechtfertigen. Es zeigt die Tatenlosigkeit und Durchsetzungsschwäche von Politik und Verwaltung. Die Entscheidung fällt deshalb leider nicht leicht.“
„Jeder Fall auf dieser traurigen Liste ist ein Graus und zeigt wiederholt die Verantwortungslosigkeit der Entscheidungsträger.“
„Mir gefällt Ihre Aktion, weil sie Augen und Sinne schärft für zu erhaltende ältere Bausubstanz.“
„Traurig, dass es so eine Hitliste geben muss. Danke für Ihre Arbeit!“
Zu Landshut:
„Als der großartige Film von Dieter Wieland über den brachial barbarischen Städtebau in Landshut (Landshut – oder hat die Schönheit eine Chance?, 1973) zu einem gewaltigen Beben und einem handfesten Skandal in der Stadt und zu einem Aufschrei in ganz Bayern führte, durfte man auf eine positive Veränderung hoffen. Stattdessen kam es in der Zwischenzeit noch viel schlimmer – in Landshut und im Freistaat.“
„Die Landshuter Altstadt samt all ihren Nebengassen und Passagen sind ein Ensemble, das Geschichte nachfühlen lässt. Daher macht mich jeder Verlust aus diesem Gesamtbild besonders betroffen.“
Zu Bad Birnbach:
„Das Haus war entzückend, charmant & in jedem Fall wert, weiter Bestand zu haben. Und das Schlimmste: Aus Geldnot erfolgte der Abriss nicht…“
„Das darf einfach nicht sein! Ein Superbeispiel für Nachhaltigkeit. Das Haus ist mehrere 100 Jahre alt und heute werden nur billige Industrieschachteln von kurzer Lebensdauer errichtet.“
„Für das Handwerkerhaus habe ich mich entschieden, weil ich mich jedes Mal, wenn ich im Rottal bin, sehr über die Dichte der historisch wertvollen Holzhäuser freue und sehr traurig darüber bin, dass man jetzt auch dort beginnt, diese noch vorhandenen SCHÄTZE zu missachten. Sehr schade.“
Zu den Kühltürmen des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld:
„Die Kühltürme haben mich durch mein Leben begleitet. Als Kind hieß es immer, jetzt sind wir gleich zu Hause, da sind schon die Türme.“
„Wäre ein schönes Denkmal gewesen und ein monumentaler Bau mit Potential für interessante Nutzungsmöglichkeiten.“
„Die Türme haben uns über Jahrzehnte begleitet und den Weg nach Hause gewiesen. Farbe und Kreativität hätten hier, jenseits von Ideologie, mit Sicherheit eine Verwendung als (Energie-)Museum, über Kletterturm bis hin zu … ermöglicht. Nicht nur, aber auch, weil dieses AKW durch Buch und Verfilmung „Die Wolke“ historischen Wert erlangt hat.“
In der kommenden Woche wendet sich der Landesverein wieder positiven Perspektiven in der Denkmalpflege zu und beruft eine Jury ein, die den Preisträger oder die Preisträgerin für den erstmals zu verleihenden „Erich-Schosser-Preis“ küren soll. Ausgezeichnet wird eine bayerische Kommunalpolitikerin oder ein Kommunalpolitiker, die oder der sich in besonderer Weise um Denkmalpflege verdient gemacht hat.
Bilder:Landshut: Christine Vincon / Landesverein für Heimatpflege
>> Wagnergasse Christine Vincon
>> Wagnergasse Abriss Christine Vincon
>> Wagnergasse 2016 Christine Vincon
Bad Birnbach: Rudolf Neumaier / Landesverein für Heimatpflege
>> Abriss Bad Birnbach
Ihre Ansprechpartner:
Dr. Rudolf Neumaier,
Geschäftsführer
und
Dr. Daniela Sandner
Wissenschaftlicher Mitarbeiterin
daniela.sandner@heimat-bayern.de,
Tel. 089 286629-13 (Neumaier) oder -24 (Sandner)
>> Pressemitteilung zum Gewinner des Abriss des Jahres 2024
>> Pressemitteilung zur Ankündigung des Abriss des Jahres 2024 zum Download