Tagebuch eines Heimatpflegers

Gerade überschlagen sich bei uns die Ereignisse. Der Landesverein spielt in einem Kinofilm mit! Unsere Wanderausstellung „Land schafft Klang“ ist an einem besonderen Ort angekommen. Und wir treffen einen Arzt und einen Trommler, die sich unbedingt kennenlernen müssen.
 
7. Januar

Rückkehr aus der Winterpause. Es ist noch ein Stapel Weihnachtsgrüße eingetrudelt. Warum nicht? Die Weihnachtszeit dauert schließlich bis Lichtmess. Eine besonders schöne Karte mit besonders freundlichen Grüßen lobt die bayerische Heimatpflege über den Schellnkönig und wünscht ihr ein gedeihliches Jahr, man müsste glatt ein Dankesbriefchen schreiben. Aber wem? Die Unterschrift ist unlesbar. Sogar unsere Chef-Graphologinnen Petra Wilhelm und Nicole Steiner im Sekretariat scheitern. Na gut, dann ganz pauschal an alle, die es gewesen sein könnten: Danke, ebenfalls ein gutes Neues!

8. Januar

Passt eigentlich der Anzug für den Neujahrsempfang des Ministerpräsidenten noch? Er passt nicht mehr. Aber das ist eher ein privates als ein heimatpflegerisches Problem. Wie ist der Stand bei der Abstimmung über den Abriss des Jahres? Mein Kollege Pierre Borsdorf hat den Überblick: Landshut mit der Wagnergasse 2 weit vorn. Aber wer weiß, die fränkischen Freunde der Baukultur haben immer wieder mal auf den letzten Metern Massen mobilisiert.

9. Januar

Letzter Tag bei der Abstimmung zum Abriss des Jahres. Die Zeitungs- und die Radiomenschen rufen schon an. Bitte geduldet euch, Leute. Dr. Daniela Sandner bereitet die Pressemitteilung vor. Ich fahre am Nachmittag nach Alteglofsheim im Landkreis Regensburg. Dort stellt Heimatminister Albert Füracker mit unserem Kollegen Dr. Thomas Feuerer, dem dortigen Kreisheimatpfleger, Monumenta vor. Menschenskinder, der Thomas und seine großartigen Ideen: Hat mit seinem Team eine App entwickelt, in der alle Denkmäler des Landkreises erfasst werden. Chapeau! Staatsminister Füracker spricht über Denkmäler und den Anwesenden aus dem Herzen: „Bauwerke wie das Schloss Alteglofsheim haben Jahrhunderte überlebt. Vor dieser Geschichte kann uns die eigene Bedeutung bewusst werden. Wenn man da nicht demütig wird!“

10. Januar

Um Punkt 5.30 Uhr hat Daniela Sandner die erste Fassung der Pressemitteilung zum Abriss des Jahres verschickt. Die Wagnergasse in Landshut ist vorn geblieben. Vormittags Interviews zum Abriss des Jahres. Erst Radio, dann Fernsehen. Für die BR-Rundschau nehmen wir in unserem Sitzungszimmer auf. Am spannendsten ist für mich nicht unbedingt das Ranking zum bedauernswertesten Abriss, es sind vielmehr die Kommentare, die unsere Teilnehmer dazuschreiben.

Besonders freut uns: Es haben 400 Leute mehr teilgenommen als im Jahr zuvor. Und 500 Teilnehmer haben sich für unseren Newsletter angemeldet. Herzlich willkommen! Ist ein sehr langer Tag. Markus Kolbeck, unser Geschäftsstellenleiter, hilft mir mit den neuen Manschettenknopflöchern. Für den Abend. Neujahrsempfang in der Residenz. Kurzer Dialog vorm Foto – vor dem Foto: „Herr Ministerpräsident, die Heimatpflege wünscht Ihnen ein gutes neues Jahr.“ „Das wünsche ich Ihnen und der Heimatpflege auch.“ Alle da. Heimatminister Füracker treffe ich als ersten, dann unseren Ehrenvorsitzenden, Landtagspräsident a.D. Johann Böhm und seine Frau Elke, dann ihre Königliche Hoheit Ludwig von Bayern. Ob ich die Reihenfolge noch hinbekomme? Erzbischof Reinhard Kardinal Marx, Dr. Hans-Joachim Heßler, Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Landesbäuerin Christine Singer, ach, machen wir´s kurz, ich konnte mit fast allen reden, die Rang und Namen haben.

11. Januar

Ausschlafen.

12. Januar

Privat.

13. Januar

Besprechung mit Pierre Borsdorf. Ich nenne den jungen Kollegen Heimatpfleger Borsdorf. Klingt ein bisschen militärisch. Er versteht Spaß. Stammt aus Düsseldorf. Sehr trockener Humor. Was machen wir in den Newsletter? Hm. Die herzhaftesten Kommentare zum Abriss des Jahres? Naja, könnte als Lesestoff funktionieren. Mal schauen, vielleicht fällt uns noch was anderes ein. Mindestens genauso wichtig ist jetzt die Ausschreibung für unsere Buchhaltung. Die Kollegin Brigitte Friese, unsere unbeschreibliche Zahlenmeisterin im Buchhaltungsreferat, will sich Ende des Jahres in den Ruhestand verabschieden. Unerhört. Widerwilliges Verfassen der Ausschreibung. Wo Sie´s gerade lesen, frage ich gleich Sie, liebe Leserin, lieber Leser: Kennen Sie jemanden?

14. Januar

Jour fixe mit Dr. Olaf Heinrich, unserem Vorsitzenden. So gut wie jedes Mal, wenn wir telefonieren, hat er eine Idee. Mindestens eine. Diesmal: Bauen im ländlichen Raum und Musik für den Nachwuchs – so viel kann man verraten. Wir besprechen unseren Pressetermin in der Volksmusikakademie in Freyung am 23. Januar, da werden wir unser Volksmusikprojekt vorstellen, mit dem wir schon mehr als 4600 Mädchen und Buben, Frauen und Männer für Musik begeistert haben. Danach Teambesprechung. Fast alle da. Die Kolleginnen und der Kollege von den Volksmusik-Außenstellen und Michaela Metz, die Projektmanagerin unserer Wanderausstellung „Land schafft Klang“, sind digital zugeschaltet. Ich frage wie immer: Wer macht was, wer will Ideen einspeisen und wer kann von wem welche Hilfe brauchen? Fazit: Alle machen viel – die Sitzung dauert mehr als anderthalb Stunden. Nachmittags Acht-Augen-Gespräch in Haidhausen. Konspirativ! Wichtiges Thema.

15. Januar

Mail von Olaf Heinrich. Der Chef schickt einen Zeitungsausschnitt: Dr. Leonhard Bürger, Kreisheimatpfleger von Freyung-Grafenau, hat ein altes Bauernhaus gekauft und will es in den nächsten sechs Jahren eigenhändig herrichten. Großartige Geschichte, großartiger Heimatpfleger. Personifiziertes Best-Practice-Beispiel. Überhaupt ist Kollege Bürger, von Beruf Arzt, ein herausragender Heimatpflege-Praktiker. Wir werden wir seine Um- und Ausbaufortschritte begleiten und dokumentieren, Dr. Bürger wird uns regelmäßig auf der Baustelle empfangen. In dem Zeitungsartikel berichtet er unter anderem davon, dass man mit Denkmalpflege ganz gut Steuern sparen kann. Sehr wichtiger Aspekt. In einem der nächsten Newsletter werden wir die Steuerspar-Modelle von einem Steuerberater verständlich aufdröseln lassen. Wir müssen schaffen, dass es bei Menschen, die es sich leisten können, zum guten Ton gehört und en vogue wird, ein bröselndes Gebäude aufzumöbeln.

16. Januar

Ortsbesuch in der Wagnergasse 2, Landshut. Zwei Journalistinnen eines lokalen Fernsehteams bitten vor dem Schuttplatz mit den jahrhundertealten Ziegeln zum Interview über den Abriss des Jahres. Ihre letzte Frage: „Was sagen Sie dazu, dass der Eigentümer, Herr Soundso, kritisiert, dass Sie ihn nicht gefragt haben?“ Ich bin perplex. „Wir wollen niemanden an den Pranger stellen“, sage ich, „und deshalb blenden wir Eigentumsfragen aus. Mit unserer Aktion drücken wir nur unser Bedauern aus, mehr nicht. Und dass man jemanden fragen müsste, ob man etwas bedauern oder traurig finden darf, das wäre doch seltsam.“ Die Journalistin gibt mir recht.

Am Abend darf ich bei Josef Menzl gastieren. Sepp, der fulminanteste und draufgängerischste Blaskapellmeister, den ich kenne, lädt im Theater Regensburg zum dritten Mal zu einer Bühnenshow: It´s a Menz´ World. Eine geniale Idee von den Theaterleuten. Und von Sepp. Musik vom Feinsten, von ihm selbst arrangiert und von seinem virtuosen Ensemble in den zum dritten Mal ausverkauften Musentempel gepfeffert, dazu eine Talkrunde, moderiert von Josefs Bruder Sebastian. Das Theaterpublikum, überwiegend ältere Herrschaften, flippt aus, man kann es nicht anders sagen. Von einer Begegnung schwärme ich noch Tage später: Mich Hopf, Menzls begnadeter Trommler Michael Hopfensperger. Er erzählt von seiner Dieter-Wieland-Begeisterung. Und von seinem Hausbau: Er hat sich aus allen möglichen alten Gebäuden, die rund um Regensburg vor sich hinbröseln oder abgerissen wurden, zusammengeholt, was er für sein Haus brauchen konnte. Solnhofer Platten, alte Türen, Fenster, Balken, solche Sachen, alles mit der Hand hergestellt. Vor Jahrhunderten. „Unwiederbringlich“, sagt der Mich. Und vor allem hat er den Lehm aus seinem Bodenaushub selbst bearbeitet und die Wände damit verputzt. Irgendwie muss ich den Hopf Mich und den Dr. Bürger zusammenbringen. Und den Wieland Dieter!

17. Januar

Treffen mit dem Kollegen Michael Ritter in der Uni bei Prof. Dr. Daniel Drascek mit unseren Stipendiatinnen und Stipendiaten, die für unsere Umfrage „Heimat Bayern im Wandel“ forschen. Läuft gut. Unser Team könnte noch ein paar unterschiedlichere Interviewpartner brauchen. Die Professoren Daniel Drascek, Heidrun Alzheimer, Simone Egger und Manuel Trummer sind nach den Berichten der Stipendiaten sehr zuversichtlich, dass das Projekt ein Erfolg wird.

Am Abend Kinofilm-Preview im Münchner Monopol-Kino. „Fanni oder: Wie man ein Wirtshaus rettet“. Der Dokumentarfilmer Hubert Neufeld hat die Wiederbelebung eines Wirtshauses in dem 300-Einwohner-Dörfchen Pischelsdorf begleitet. Wir durften mitmachen und können jetzt sagen: „Landesverein proudly presents.“ Gerhard Polt ist dabei, Angela Inselkammer, die bayerische Wirte-Chefin, Richard Loibl, der Chef vom Haus der Bayerischen Geschichte. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass man aus einer Wirtshausrettung einen ganzen Kinofilm machen kann. Es geht. Und wie! Das Preview-Publikum ist begeistert. Beim Podiumsgespräch danach berichtet die Heimatentwicklerin Marion Deinlein aus dem oberfränkischen Mengersdorf, wie auch sie ein Wirtshaus gerettet hat. Es geht um Bierhygiene und Pommeslizenzen. Hubert Neufelds Film kommt Ende April in die Kinos. Bitte gehen Sie alle rein, der Film möge anstecken und viele andere Dorfgemeinschaften zu einer Kollektivgroßtat inspirieren! Eine Stelle treibt mir Tränen in die Augen: Mein eigener Wirt, der Springerwirt in Töging, wird eingeblendet. Gerhard Röder, Gott hab ihn selig. Dann spricht Pina, seine Witwe. Großartige Wirtin. Unbedingt anschauen.

18. Januar

Fahrt nach Nantesbuch. Die Stiftung Kunst und Natur eröffnet unsere Wanderausstellung „Land schafft Klang“. Ich wage eine These: „Die Stiftung Kunst und Natur könnte auch Landesverein für Heimatpflege heißen. Und umgekehrt.“ Niemand widerspricht. Wir wollen alle das gleiche: erhalten und gestalten. Nantesbuch ist ein fantastischer Ort für diese Ausstellung. Freddy Küng, der sie gestaltet hat, ist dabei, Co-Kuratorin Laura Kuen führt die Besucher. Organisiert hat das alles meine Kollegin Michaela Metz mit dem Team von Nantesbuch. Die Hochzeitskapelle spielt. Sie spielt ersatzgeschwächt, weil ein Bandmitglied am Morgen dieses Tages ein Baby bekommen hat. Glückwunsch, Glückwunsch, Glückwunsch, liebe ***! Und die Hochzeitskapelle spielt so cool und doch so herzenswarm, wie es sich für einen so besonderen Tag gehört. Nantesbuch wird uns wiedersehen, wenn wir willkommen sind.

19. Januar

Nantesbuch und die Hochzeitskapelle klingen nach. Und im Hinterkopf meldet sich die Mahnung von Heimatpfleger Borsdorf: Wir brauchen einen Text für den Newsletter. Na gut, denk ich mir, dann probieren wir es halt mal mit einem Tagebuch.

 

Text von Rudolf Neumaier.
Foto von Matthias Ettinger.

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